Solltet ihr jemals in die Verlegenheit kommen, einen Chinesen mit euren chinesischen Sprachkenntnissen beeindruckend zu wollen empfehle ich folgende Situation: Setzt euch an die Nähmaschine, näht ein bisschen, betrachtet euer Werk dann kritisch und verkündet: „mama huhu“. Der eine Teil eurer Zuhörer wird beeindruckt sein, dass ihr so einen fortgeschrittenen Wortschatz beherrscht, während der andere Teil am Boden liegt und sich kringelt vor lachen, weil ihr eure eigene Arbeit gerade als schlampig bezeichnet habt. Wenn ihr darüber hinaus das Bedürfnis habt, mit Chinesisch angeben zu wollen, kann ich euch nicht helfen. Meine Chinesisch Kenntnisse sind absolut überschaubar.
Seit zwei Monaten nehme ich zweimal pro Woche an einem Onlinekurs teil. Der erste Monat ging mit Ausspracheübungen drauf. Die deutsche Sprache hat ungefähr 10.000 Silben. Die chinesische Sprache hingegen nur 400. Außerdem bestehen die Wörter meistens nur aus einer oder zwei Silben. Das führt natürlich dazu, dass dieselben Silben mehrfache Bedeutungen haben. Das Wort „shi“ (wie Schimmel) bedeutet von „sein“ über „Lehrer“, „verfehlen“, „nass“, „Hundedreck“, „immer“, „Laus“, „verstecken“ bis hin zu „männlichen Genitalien“ praktisch alles. Das bietet also eine unüberschaubare Anzahl von Fettnäpfchen, in denen man sich gleichzeitig und ausgiebig wälzen kann. Um die Bedeutung wenigstens ein bisschen einzugrenzen, werden die Worte entweder in einem von vier verschiedenen Tönen oder im neutralen Ton ausgesprochen. Damit ist gemeint, dass jedes Wort wie beim Singen entweder in einem hohen Ton, einem aufsteigenden Ton, einem etwas knarzenden Ton oder in einem kurzen, abfallenden Ton gesprochen wird. Wenn man musikalisch ist, hilft das enorm. Ich hingegen tue mich schon schwer, diese unterschiedlichen Töne überhaupt zu hören. Sprechen ist auch nicht viel besser.
Als letztens ein Schüler kam und mit Pang sprechen wollte, habe ich meine rudimentären Kenntnisse zusammengekratzt und ihm erklärt „Pang laoshi bu zai“ (Lehrein Pang ist nicht da). Er guckte irritiert und ging dann weg. Ich ganz stolz: Ziel erreicht! Beim gemeinsamen Mittagessen habe ich das meinen Begleiterinnen erzählt. Die sind mir nun wirklich wohlgesonnen, aber die haben ums verplatzt nicht verstanden, was ich dem armen jungen Mann erzählt habe. Ich habe den Satz bestimmt fünf Mal wiederholt und sie guckten mich alle nur verwirrt an, bis eine sagte: Ach so, jetzt weiß ich es: „Pang laoshi bu zai“. Ich war völlig geplättet. „Das sage ich doch die ganze Zeit.“ – „Ja, aber du sagst „zai“ im neutralen Ton und nicht ganz kurz und abgehackt wie ein Befehl. „Und daran scheitert es, dass ihr mich nicht versteht? Na das kann er hier heiter werden.“ Daraufhin habe ich erstmal eine Zeit lang wenig gesprochen und mich erst wieder getraut, als ich bei meinem Ausflug an den Dongqian Lake einen Kaffee bestellen wollte. „Lai yi bei kafei“. Das Gesicht der Bedienung leuchtete auf. Sie war ganz begeistert und fing an mich auf chinesisches vollzuquatschen. Wieder nicht der Erfolg, den ich mir erhofft hatte 🤣. Immerhin habe ich einen Kaffee bekommen.
Die Schrift ist noch so eine zweite Sache: Es gibt eine unbekannte Anzahl von Schriftzeichen, allgemein wird aber gesagt, dass man ca. 3000 beherrschen muss, um die Zeitung lesen zu können. Diese Schriftzeichen setzen sich aus kleinen Bausteinen zusammen, die nicht ganz wie Buchstaben fungieren, aber doch einen Anhaltspunkt geben, was das Zeichen bedeutet. So bedeutet □ Mund, und wird in Schriftzeichen rund um das Wortfeld „Sprechen“ und „Fragen“ verwendet. Diese Bausteine heißen Radikale und davon gibt es ca 270. Wenn man Schriftzeichen lernen will, hilft einfach nur Übung und sich zu jedem Schriftzeichen ein möglichst ausgeschmücktes Bild vorzustellen. Übrigens gibt es im chinesischen nur Striche in den Schriftzeichen, keine Kreise oder Rundungen, daher der viereckige Mund.Was man der chinesischen Schrift auf alle Fälle lassen muss, ist dass sie einfach sehr schön aussieht. Diese Schriftzeichen haben es mir echt angetan. Allerdings ist mir hier bewusst geworden, wie schwierig es für Asiaten sein muss , die unterschriftlichen Fonts für lateinische Schrift zu entziffern. Für chinesische Schriftzeichen gibt es selbstverständlich auch unterschiedliche Fonts. Und wenn die Darstellung plötzlich modern und nicht mehr der traditionellen Schreibweise entspricht, bin ich schon wieder aufgeschmissen.
Als Entschädigung für diese zwei Hürden ist die Grammatik einfacher als bei uns. Zumindest rede ich mir das bis jetzt noch ein. Hauptwörter haben kein Geschlecht, Verben werden nie verändert, nicht einmal um eine Vergangenheitsform auszudrücken. Andererseits gibt es dafür eine Fülle von Hilfswörtern, eben um eine Vergangenheitsform zu verdeutlichen oder um klar zu machen, dass es sich jetzt um eine Frage handelt. Ich fürchte, das wird es wieder etwas komplizierter machen.
Falls ihr euch fragt, wie man denn die Schriftzeichen auf eine Computertastatur eingibt: Dafür wurde extra ein System erfunden. In den 50er Jahren entstand Pinyin. Im Endeffekt ist das eine Art Lautschrift, die auf unseren lateinischen Buchstaben beruht. Damit werden die Worte praktisch so geschrieben, wie wir in den westlichen Kulturen das machen. Pinyin versteht sich aber nur als Krücke. Kein Chinese würde eine E-Mail in Pinyin verschicken. Man gibt die Lautschrift ein, es erscheinen die Schriftzeichen, die zu diesem Laut passen und dann wählt man das entsprechende aus. Man kann auch auf der chinesischen Tastatur die Schriftzeichen von Hand malen. Allerdings muss man auf diesen Anwendungen dermaßen schnell schreiben, damit das Handy den Buchstaben erkennt, dass das für Anfänger absolut nicht geeignet ist. Bis ich da ein Schriftzeichen mühsam hin gemalt habe, ist die Tastatur schon verzweifelt und hat mir Vorschläge gemacht, die sich auf meine ersten zwei Strichlein beziehen, die restlichen fünf aber außer Acht lässt. Und so ganz ist es Pinyin eben doch keine Lautschrift. Denn es gibt wieder Schreibregeln. Ein Beispiel: In Pinyin gibt es sowohl ein U als auch ein Ü, aber in manchen Fällen wird der Laut als Ü ausgesprochen, obwohl es als U geschrieben wird. Die ganzen vorherigen Besonderheiten irritieren mich nicht sonderlich, das ist halt Tradition und so über Jahrtausende hinweg entstanden. Aber warum man, wenn man in der Neuzeit eine Schreibhilfe künstlich erstellt und definiert, wieder mit solchen Ausnahmen anfängt, ist mir völlig schleierhaft. Das tut schon fast weh.
Lange Rede kurzer Sinn, den ihr eh schon wusstet: Chinesisch ist nicht ganz so einfach zu lernen. Umso mehr freuen sie sich hier, wenn man sich Mühe gibt. Als wir letztens beim Essen waren, haben sie mir auf der Speisekarte verschiedene Schriftzeichen erklärt. Ich habe mir Notizen darauf gemacht, die Speisekarte zur Hausaufgabe erklärt und mit ins Hotel genommen. Die sollte ich mir jetzt auch noch mal anschauen. Wenn mich Pang demnächst abfragt, will ich nicht dass sie mir bescheinigt, meine Bemühungen wären mama huhu.