China

Barbara Lange

Die kürzeste Wanderung aller Zeiten

06.04.2024

Freitagvormittag werde ich gefragt, ob ich mit Mr. Yang wandern gehen möchte. Er will auf einen Berg. Klar möchte ich mit!
Um 14 Uhr geht es los. Wir sind zu viert. Ein Freund von Mr. Yang und Hausmeister Jin begleiten uns. Irgendwann dämmert mir, dass die Aufgabe des Freundes darin besteht, die Deutsche bei allem, was sie tut, zu filmen oder zu fotografieren. Warum Jin dabei ist, weiß ich nicht so genau. Nicht, dass es mich stören würde. Er ist ein netter Kerl und kümmert sich rührend um mich. Aber so langsam bekomme ich den Eindruck, dass ich sein „Projekt“ geworden bin. So, als ob jemand Hausmeister Jin einen Welpen anvertraut hätte, um den er sich kümmern soll. Ein Welpe, den man ständig im Auge behalten muss, weil er zu unbeholfen ist, um auf sich selbst aufzupassen. Die Arbeit von Jin wird zusätzlich erschwert dadurch, dass der Welpe (ich) einen ganzen Kopf größer ist als er. Wer meint, dass Jin ein staatlich angeordneter Anstands-Wau-Wau ist, der auf die Ausländerin aufpassen muss, irrt sich gewaltig. Diese Zeiten sind vorbei. Und ich kann mich hier auch frei bewegen. Habe ichauch schon getan. Tue ich auch jetzt, wenn Jin nicht kuckt. Diese Fürsorge ist schon eine Eigenart von Jin selbst.  

Wir fahren ca. 20 Minuten. Dann geht die Straße langsam aber stetig bergauf durch einen Wald mit Bambusstangen, die ca. 10 cm dick sind. Ein paar Leute graben Bambussprossen aus. Es wirkt ein bisschen wie eine Kombination aus Spargelstechen und Pilzesuchen. Plötzlich hält Mr. Yang an. Er hat einen Bauern entdeckt, der ebenfalls gerade Bambus ausgräbt. Ehe ich mich versehe, hat er mit dem Bauer verhandelt, dass er mir zeigen soll, wie man an die Sprossen herankommt. Ich turne mit ihm über den steilen Hang, bis wir eine klitze-kleine Sprosse aus dem Boden ragen sehen. Dann bekomme ich eine Hacke und soll die ausgraben.

Mit mir können sie es ja machen.

Also grabe ich. Ca. 40 cm tief. In 30 cm Tiefe kommt der Nebenspross zum Vorschein. Bambussprossen – das lerne ich heute – sprießt immer paarweise. Die Sprosse wiegt ca 5 kg. Bis ich sie raushabe, sehe ich aus wie ein Ferkel. Wir gehen zurück zur Straße, es werden Fotos gemacht und dann geht es wieder los. Zurück zum Museum. Mr. Yang hat einen Anruf bekommen, dass er dort gesucht wird. Um 15 uhr stehen wir wieder auf dem Hof. Jin ist sichtlich enttäuscht. Er wäre so gerne noch mit seinem Welpen wandern gegangen.