China

Barbara Lange

Moon Lake

30.04.2024

Mein letztes Wochenende an der Universität in Ningbo besteht eigentlich nur aus einem Samstag. In der kommenden Woche wird der Tag der Arbeit über fünf Tage hinweg gefeiert. Die Regierung hat beschlossen, dass das zu viel ist und dass ein Feiertag am kommenden Sonntag wieder hereingearbeitet werden muss. Ich fühle mich da nicht so sonderlich angesprochen, weil ich an den fünf Tagen, an denen die anderen ihren Feiertags-Marathon begehen, einen Workshop in Shaoxing unterrichten werde. Trotzdem werde ich mich Sonntag mal kurz in der Universität blicken lassen. Ich habe überlegt, dass ich am Vormittag die Waschmaschine im Hotel nutzen werde, um meine Wäsche für die kommenden Wochen in Ordnung zu bringen, dann in Pangs Arbeitszimmer fahre und die letzten Dinge aufräumen. Der Präsident der Hochschule lädt uns um 17 Uhr zu einem Abschiedsessen in eines der Nobelrestaurants am Bund ein. Sonntag ist also nicht so gut geeignet, um Sightseeing zu machen. Also Samstag.

Wenn ich ganz ehrlich bin, fällt mir an diesem Tag das Aufstehen schon etwas schwerer. Die Erkältung und der Workshop stecken wir immer noch so ein bisschen in den Knochen, aber der innere Schweinehund gibt irgendwann doch nach und ich schwinge mich auf mein Fahrrad, und fahre zu U-Bahn. Mein Ziel ist der Moon Lake. Es ist mir zu mühsam, auf dem Handy rauszufinden, welche U-Bahn-Station ich nehmen muss und deswegen schätze ich einfach nur. Die chinesiche Karten-App „Baidu Maps“ auf meinem chinesischen Handy wird ständig von Werbung zugespamt und nervt mich kolossal. Die offline Karten auf Google Maps sind zwar werbefrei, aber etwas zu minimalistisch für meinen Geschmack. Aber damit klappt es eigentlich ganz gut.

Meine Schätzung war auch ganz in Ordnung. Ich komme auf Höhe des Moon Lakes bei der Tianfeng Pagode raus. Die Pagode ist allein deswegen schon besonders, weil sie über die Jahrhunderte hinweg immer wieder zerstört und neu errichtet wurde, also einigermaßen authentisch ist und auch nicht mit irgendwelchen Lichterketten verkitscht worden ist. Man kann die sieben Stockwerke hinaufsteigen und hat dann einen schönen Blick über Ningbo. Von dort oben aus sehe ich auch, dass sich ein altes Stadtviertel hinter dem Turm befindet, in dem auch ein alter Tempel zu erahnen ist. Also wieder runter vom Turm und ab zum Tempel.

Der Chenghuang Tempel ist 700 Jahre alt und gehört zum Taoismus. Durch eine Serie von Innenhöfen kommt man immer tiefer in den Komplex hinein, die Statuen werden immer aufwendiger und zum Schluss findet man die Triade der drei höchsten Götter. In einem Nebenraum stoße ich auf das taoistische Pantheon. Vielleicht ist es auch nur ein Teil. Auf jeden Fall ist es eine stattliche Ansammlung von Dämonen, Göttern und Menschen mit bunter Haut, Tierköpfen oder mehreren Armen. Die Anlage wurde erst vor ein paar Jahren renoviert und erstrahlt hier in einer Farbenpracht, die wirklich beeindruckend ist. Überall sind Lampions zu sehen und man kann erahnen, wie prachtvoll der Tempel abends sein muss, wenn die Beleuchtung eingeschaltet wird. Ich beschließe also, jetzt wirklich zum Moon Lake zu gehen und abends noch mal hierher zu kommen.

Der Moon Lake erinnert mich so ein bisschen an den Englischen Garten in München. Es ist eine Grünanlage, die sich durch die Innenstadt zieht. In dem See befinden sich vier Inseln. Überall blühen Iris, Reiher fliegen knapp über der Wasseroberfläche dahin, man kann sich Tretboote in Form von Gummienten ausleihen oder an einem der Tische mit ein paar Freunden Brettspiele spielen. In Sachen Landschaftsgestaltung und Parks macht niemand so leicht den Chinesen etwas vor. Wie zu erwarten, gehen hier viele Eltern mit ihren Kindern spazieren.

Was allerdings noch mehr auffällt sind die vielen Brautpaare die sich hier fotografieren lassen und die sich abwechseln mit den unvermeidlichen Tiktok- und Instagram-Sternchen, die sich hier mehr oder minder professionell in Szene setzen. Man muss es ihnen echt lassen: Mut haben sie. Ich würde mich lieber steinigen lassen, als mich in einem Lolita-Kostümchen hier in den Park zu stellen. Mal abgesehen davon, dass das auch echt keiner sehen will. Als Mutter fühle ich mich beim Anblick mancher Mädels ein bisschen so wie bei einem Verkehrsunfall: Man mag nicht hinschauen, man kann aber auch nicht weggucken. Was haben die für ein Frauenbild eingetrichtert bekommen? Andere wiederum haben es echt drauf und schaffen es, poetische Bilder zu inszenieren. Trotzdem bleibt die Frage: wer ist denn die Zielgruppe? Für wen machen die Mädels das hier? Ich stelle fest, für manches bin ich einfach zu alt.

Nachdem ich den See komplett umrundet habe, tigere ich weiter Richtung Süden, zur Nantang Altstadt. Wenn ich gemein sein wollte, würde ich diese Straße als Fressmeile bezeichnen. 80% aller Häuser beherbergen Restaurants. Alleine – also ohne chinesische Begleitung –  essen zu gehen ist für mich nach wie vor eine Herausforderung, weil ich einfach nie weiß, was sich hinter den einzelnen Gerichten verbirgt. Selbst wenn ich Bilder bekomme, weiß ich immer noch nicht genau, was das für ein Gemüse ist, wie es schmeckt oder manchmal ganz banal einfach nur WIE man es ißt. Imbissstände sind da am einfachsten zu handhaben, man kann sich alles genau anschauen und dann deuten. Auf diese Weise komme ich auch an eine Suppe aus Dim Sum. Ohne Suppe wäre mir lieber gewesen, beim Deuten war auch noch keine Suppe zu sehen, aber als sie bei mir auf dem Tisch ankommt, schwimmen meine Dim Sum in einer Riesenschüssel. Die Herren am Nachbar Tisch bekommen ihre Portionen teils mit, teils ohne Suppe. Es geht also auch ohne diesen riesigenen Topf Brühe, der das Angeln mit den Stäbchen nicht unbedingt einfacher macht. Ich muss unbedingt an meinem Vokabular arbeiten.

Zum Schluss laufe ich zurück Richtung U-Bahn-Station und mache noch den Abstecher zurück zum Chenghuang-Tempel. Ich werde nicht enttäuscht. Die Beleuchtung ist wirklich atemberaubend. Noch eine halbe Stunde die Atmosphäre genießen und dann geht es zurück ins Hotel. Der Innere Schweinehund wartet.