China

Barbara Lange

Abends in Xi’an

11.05.2024

Seit Montag bin ich in Xi’an – Heimat der weltbekannten Terracotta Armee. Die habe ich allerdings noch nicht gesehen – bisher war ich tagsüber die ganze Zeit im Klassenraum der Studenten für Modedesign an der Peihua Universität. Abends habe ich mich bisher drei Mal davongeschlichen. Zweimal war ich an der Giant Wild Goose Pagode. Allerdings hat die immer schon geschlossen, wenn ich dort ankomme. Das macht aber nicht weiter etwas aus – es gibt ringsherum so viel zu sehen, das ich gleich an zwei Abenden dorthin gefahren bin. Am ersten Abend bin ich mit Chris unterwegs, sie arbeitet für Bernina in Shanghai. Wir beuchen ein Lokal, in dem uns unter anderem essbare Pinsel serviert werden und quatschen den ganzen Abend. Sightseeing fiel ehr kurz aus, also bin ich ein zweites Mal hin.

Mit der U-Bahn kommt man als erstes bei einem riesigen Springbrunnen an, in dem hunderte von Fontänen in Reih und Glied stehen – sie bilden große Gruppen, in etwa so, wie die Terracotta Soldaten auch aufgestellt sind. Dieser Brunnen ist im Prinzip der Vorplatz der Pagode. In ihr sind Schriftrollen eines Mönchs zu sehen, der einst nach Indien gewandert ist, um den indischen Buddhismus zu studieren. Nicht, dass ich sie gesehen hätte.

Was man sieht, ist eine ganze Völkerwanderung von Chinesen, die Abends über die Fußgänger-Meile flanieren, die sich an die Pagode anschließt. Wenn man diesen Ausflug „richtig“ macht, geht man als erstes in einen der vielen Läden in der Nähe der U-Bahn und lässt sich dort mit neu-chinesischer Tracht einkleiden. Tracht ist etwas irreführend. Modern Hanfu ist eine Modewelle, die alte chinesische Trachten aufgreift und neu interpretiert. So eine Outfit hat mehrere Lagen, der oberste Kaftan ist gerne aus Organza, hat einen Farbverlauf und ist reich besticht. Dieses Kostüm, wenn man so will, mietet man für den Abend. Dazu gehört eine Perücke mit langen Zöpfen und viel Schmuck. Und natürlich wird man geschminkt. Wenn man es ganz, ganz richtig machen möchte, leiht man sich dazu eine Art Bollerwagen aus, in dem Requisiten wie Laternen, Schwerter, Flöten und Bambusschirme mitgeführt werden können. Den Bollerwagen muss der Mann ziehen. Wahrscheinlich als Strafe dafür, dass er sich nicht einkleiden lässt. Anscheinend ist das aber nicht Strafe genug. Die wenigsten Männer lassen sich einkleiden. Sie fotografieren aber eifrig. Und damit wären wir beim Sinn des ganzen angekommen: Möglichst viele poetisch-verträumt-romantische Bilder machen. Mit süßlich-romantisch habe ich es ja so gar nicht, aber dieses Schauspiel fasziniert mich.

Wenn also die Damenwelt bereit ist, zieht man durch die Fußgängerzone an den vielen Statuen vorbei, die den großen Kaisern Chinas gewidmet sind und hier ganze Schlachten darstellen. Ein paar Dichter und Wissenschaftler findet man auch. Angeblich ist auch eine Statue von Wu Zetian darunter – die einzige Kaiserin Chinas, die ziemlich verrucht ist – aber die habe ich leider nicht gefunden. Wahrscheinlich habe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Es wimmelt hier von Attraktionen, fliegenden Händlern, Imbissbuden und vor allem Menschen. Chinesischen Menschen. Mittendrin eine Europäerin. Das wär dann wohl ich. An einem Abend habe ich eine Gruppe Amerikaner gesehen. Das waren die ersten Nicht-Chinesen, den ich in zwei Monaten begegnet bin. Nicht, dass mir etwas abgehen würde. Aber ich bin und bleibe hier einfach die Exotin. Ein bisschen wie diese Kerle.

 

Die Attraktionen bestehen aus Klaviertasten, die im Boden eingelassen wurden. Wahrscheinlich kann man auch schöne Lieder darauf spielen. Wenn hunderte von Menschen darüber latschen entsteht eher etwas wie eine Kakophonie. Das stört nicht weiter. Dann ein paar Meter weiter ist ein Brunnen, der akustisch gesteuert ist. Je lauter die Menge brüllt, desto höher die Wasserfontäne. Sie ist ziemlich hoch. Daneben steht ein Mann auf einer riesigen Laterne und singt eine Arie. Wieder ein paar Meter weiter wird getrommelt, jede Statue hat ihre eigene Musikanlage. Es ist laut.

Alles steuert auf einen Platz zu, der ca. 1,5 km von der Pagode entfernt ist. Hier wird um 21:00 eine Art Theaterstück inszeniert. So wie ich das interpretiert habe, gin es um eine Gruppe Auswanderer, die in Xi’an eine neue Heimat gefunden haben. Gut möglich, dass es um etwas ganz anderes ging.  Am Ende haben auf jeden Fall viele Männer mich Drachenkostümen getanzt und dann war es plötzlich vorbei Die Tänzer standen noch alle auf der Bühne. Die Musik ging aus, alle im Publikum drehten sich um und gingen. Kein Applaus, nix.  Nur ein Barbara, die immer noch dasteht und denkt, dass es jetzt gleich weitergehen wird. Tat es nicht… Also bin ich auch gegangen.

Wobei gehen ein großes Wort ist für die Fortbewegung, die ich auf dem Rückweg an den Tag gelegt habe. Nach 8 Stunden stehen im Unterricht und dem Zick-Zack-Kurs, den ich auf dem Hinweg eingelegt habe, melden sich jetzt meine Füße. Mein Apartment, in dem ich hier untergebracht bin, gehört zu einer Art Hotel, das auf dem Campus liegt. Also muss ich den gesamten Weg zurück. An der Wache am Haupteingang des Campus vorbei, ihm erklären dass ich hier Lehrerin bin und rein darf und dann einmal quer durch den Campus. Ich bin bedient, als ich in meinem Zimmer ankomme.