Pang hat sich in den vergangenen vier Wochen, die ich in Ningbo verbracht habe, für mich schier zerrissen. Anfangs hat ihr das englische sehr zu schaffen gemacht – sie kann zwar englisch, war aber in den letzten Jahren etwas eingerostet. Sie hat sich ein Übersetzungsgerät ausgeliehen und damit konnten wir uns ganz gut behelfen. Aber zum Ende meines Aufenthalts haben wir es immer seltener benutz. Ihr Englisch hat sich in den Wochen erheblich verbessert. Um ihre vernmeintliche Schwäche in Englisch zu kompensieren, hat Pang immer dafür gesorgt, dass wir nach Möglichkeit immer in einer größeren Gruppe unterwegs waren – so hat sich die Übersetzungslast auf mehrere Schultern verteilt. Und lustiger war es obendrein. Wobei Pang eigentlich immer lustig ist. Ich weiß gar nicht, wie oft wir zusammen essen waren, sie hat sogar meinen Bruder und mich in ein Boots-Restaurant am Bund eingeladen, als mein Bruder hier auf Stippvisite war. Dann hat sie organisiert, dass mir eine Bernina Maschine für den Design Kurs gestellt wurde. Sie ein gesamtes Wochenende mit mir am Meer unterwegs, wir haben zusammen eine Teezeremonie besucht, Erdbeeren gepflückt und Karaoke gesungen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Berichte sie in dieser Zeit über die Veranstaltung geschrieben hat. Mit Pang kann man wirklich jeden Mist machen – aber sie arbeitet auch hart. Ihr Lieblingssatz: „Yes! We can Do it!“ Sie werde ich am meisten vermissen.
Maggie hat mir ihr Fahrrad geliehen, was die Sache sehr erleichtert hat und hat mich eines Abends in ihren Unterricht eingeladen wo die Schüler:innen dabei waren, Blumengestecke zusammenzustellen. Maggie unterrichtet die 24 verschiedenen Jahres-Themen, die die Chinesen in Ergänzung zu den vier Jahreszeiten haben. Bei dieser abendlichen Veranstaltung ging es um die letzten 14 Tage des Frühlings, die von Regen, den ersten Pfingstrosen und einer schwülen Wärme gekennzeichnet sind, die demnächst der Hitze des Sommers Platz machen werden. Sie ist sehr feinfühlig und bemüht sich ständig, mir zu erklären, was gerade los ist, damit keine Missverständnisse aufkommen. Ihre Spezialität ist es, Bilder im Nachhinein zu retuschieren. Auf jedem Bild, dass ich von Maggie bekommen habe, trage ich Lippenstift, obwohl ich keinen aufgetragen habe. Außerdem kennt sich Maggie mit Teezeremonien aus. Wir waren gemeinsam bei einer Veranstaltung, bei der unserer Gruppe gezeigt wurde, wie eine traditionelle Teezeremonie korrekt abläuft. Maggie war mit dem gesamten Ritual bereits vertraut und saß neben mir, um zu übersetzen und mir die Handgriffe beizubringen. Sie fährt jedes Wochenende nach Hause zu Mann und Kind und ist daher nur am Wochenende in Ningbo. Ich glaube, dass sie am besten versteht, wie es den Schülerinnen hier geht, die auf dem Campus wohnen. Die Tore zum Campus schließen jeden Abend um 10 Uhr. Mit studentischem Nachtleben ist hier nicht viel zu wollen. Sie bietet daher unter der Woche immer wieder Aktivitäten an, die Spaß machen und trotzdem in irgendeiner Weise das Studium ergänzen.
Wu Xiao ist die jüngste meiner chinesischen Schwestern. Sie hat einen kleinen Sohn zu Hause und meistert dementsprechend einen Alltag, der mehr von Chaos gezeichnet ist, als der Alltag ihrer Kolleginnen. Sie ist ständig unter Strom, ist immer spät dran und hat immer 10.000 Tabs im Kopf offen. Trotzdem ist sie jeden Morgen losgezogen, um mir einen Becher To-go Kaffee von einem Cafe aus der Umgebung mitzubringen. Ihr habe ich eine Einladung in ein Restaurant zu verdanken, das bekannt dafür ist, dass es zusätzliche Serviceleistungen wie Nägel lackieren, Haare waschen oder Schuhe putzen neben dem Essen anbietet. Auf diese Weise bin ich zu einer Maniküre gekommen und habe meinen Design-Kurs mit wunderbar gepflegten Fingernägeln gehalten, die auch noch mit Klarlack überzogen waren. Sowas mache ich sonst nie. Außerdem hat sie den Kellnern erzählt, das ich an dem Tag Geburtstag hätte, damit die mir ein Ständchen bringen. Sowas fällt auch nur ihr ein.
Wang hat sich vermutlich zum Ziel gesetzt, jede textile Technik zu lernen, die es auf der Welt gibt. Egal, ob der Unterricht, den ich gerade gehalten habe, für Schüler oder für Lehrkräfte gedacht war – Wang war da. Was sie mich zwischendrin gelöchert hat ist nicht zu fassen. Wie näht man meine Sonnenblume? Wie näht man Fischgrat? Wie unterrichte ich Farblehre? Wie kann man Twisted Logcabin entwerfen? Wie entwirft man FPP? Egal, welches Buch ich ihr empfohlen habe, egal, ob das Buch noch im Druck ist oder nur antiquarisch zu bekommen ist: Wang hat es beschafft. Im Gegenzug hat sie mir aber beigebracht, wie man mit einer Knüpfmaschine umgeht. Ich sag mal, eine Kreuzung aus Schlagbohrmaschine und Nähmaschine. Unter ihrer Anleitung habe ich ein Herz geknüpft, das als Sitzpolster dienen kann. Außerdem hat sie mir beigebracht, wie man chinesische Knoten knüpft. Egal was man ihr gezeigt hat, Wang stand am nächsten Tag auf der Matte, hatte das Musterstück fertig und wollte Neues lernen. Diese Frau ist offiziell irre. Auf die gute Art. So wie alle meine chinesischen Schwestern.