Es wird Zeit, dass ich mal ein bisschen über die Projekte erzähle, an denen ich hier gerade arbeite. Als ich diesen Blog gestartet habe, dachte ich, es sei völlig unproblematisch, Bilder von meinen Arbeiten zu zeigen, weil ich die eh nur für mich mache. Mittlerweile denke ich, dass der eine oder andere Quilt Potenzial hat, in einem Wettbewerb eingereicht zu werden. Manche Wettbewerbe verbieten aber, dass man im Vorfeld Bilder zeigt. Gestern habe ich mich schlau gemacht. Quilt National hat diese Klausel nicht und ermutigt sogar Künstler:innen, den Werdegang ihrer Arbeiten öffentlich zu zeigen. Deswegen kann ich jetzt ganz frei agieren.
Ihr erinnert euch vielleicht noch an meinen Ausflug zum Seidenmarkt. Dort habe ich einige Stoffe bekommen, die in erster Linie braun und schwarz sind. Daneben habe ich eine Reihe von roten Seidenstoffen gekauft. Die chinesischen Händler, die mir die dunkle Seide verkauft haben sind eindeutig überzeugt, dass mir ein paar Latten am Zaun fehlen, weil ich am liebsten Stoffe mit Druckfehlern haben wollte. Und auch wenn die Lehrerinnen aus Ningbo anscheinend verstanden haben, worum es mir ging, möchte ich mit diesen Stoffen anfangen.
In meiner Serie „Peinliche Mütter“ geht es mir ja darum, die die Geschichte von Müttern aufzuzeigen, die zu Recht oder Unrecht als peinlich betrachtet werden oder wurden und aus deren Kindern trotzdem oder gerade deshalb etwas geworden ist. Es ist nicht so einfach, an solche Geschichten heranzukommen, weil die Rolle der Mutter im öffentlichen Raum oft verklärt dargestellt wird. Und gerade bei historischen Figuren wird gerne herausgekehrt, wie liebevoll die jeweilige Mutter ihre Kinder großgezogen hat. Es ist wesentlich einfacher, an Geschichten von tyrannischen Vätern dran zu kommen, die sich einmal durch die Familie durchgeprügelt haben. Die Väter interessieren mich aber in dieser Serie nicht. Vielleicht später mal. Jetzt erstmal sind es die Frauen. Nachdem ich aber Geschichten aus allen Kulturkreisen und allen Zeitepochen Suche, möchte ich natürlich auch chinesische Geschichten in diese Serie einbringen. In China ist es noch mal schwieriger, an solche Inhalte heranzukommen. Die Bevölkerung und/oder die Politik stehen auf erbauliche Geschichten, verklärten Erzählungen oder merkwürdige Dramen, wo am Ende alle tot sind. Jedenfalls habe ich mich schwergetan. Irgendwann kam ich darauf, dass die Kulturrevolution in den 60er und 70er Jahren ein guter Ansatz sein könnte. Allerdings war ich mir nicht sicher, wie mein Gastgeber dazu stehen würde, wenn ich ausgerechnet diese Thematik in meinen Arbeiten darstelle. Auf der Fahrt zum „Schönsten Pfirsichgarten der Welt“ habe ich Wang auf der Busfahrt dazu befragt. Sie meinte, über das Thema würde zwar nicht direkt totgeschwiegen, aber man würde auch nicht gerne darüber reden.
Das Drama um Fang Zhongmou, die von ihrem eigenen 16-jährigen Sohn gegenüber der roten Garde denunziert wurde beschäftigt mich sehr. Sie wurde verhaftet, verhört und erschossen. Der Sohn ist noch am Leben und leidet extrem unter seiner Tat. Für den ersten Quilt setze ich also große Stücke von der braun-schwarzen Seide zusammen, sie symbolisieren das Unperfekte an Fang Zhongmou. Sie hat ihr Schicksal mit Sicherheit nicht verdient, aber ich möchte nicht behaupten, dass sie eine perfekte Frau gewesen sei. Welche Frau ist das schon?
Als ich den Quilt heften wollte, fragte ich Chen, die recht pfiffig und aufgeweckt wirkt, ob ich Klebeband und Sicherheitsnadeln bekommen könnte. Mit dem Malerkrepp fixiere ich immer die Rückseite von meinem Quilt, damit der mir nicht verrutschen kann, wenn ich mein Raster mit Sicherheitsnadeln feststecke. Das Konzept war ihr völlig fremd. Klebeband hatte sie auch keins. Auch keine Sicherheitsnadeln. Aber sie könnte das kaufen gehen. Ich war leicht frappiert. Wie heften die denn ihre Quilts hier? Vielleicht lerne ich ja eine neue Technik. Ich bat Chen also mir zu zeigen, wie sie den Quilt heften würde. Die Antwort: sie benutzen hier ein stark verpresstes Vlies, das so steif ist, dass der quillt vermutlich von alleine stehen bleiben würde. Das wollte ich nicht. Ich wollte das flauschige Vlies verwenden, dass der Hausmeister mir gebracht hatte . Es ist zwar für meinen Geschmack etwas zu dick aber immerhin fällt es schön. Chen legte also meinen Quilt auf dem Tisch und heftete von Hand erstmal außen rum alle Kanten fest. Ich war nur mäßig beeindruckt, beschloss aber, es erstmal zu lassen.
Eine zweite Geschichte ist die von Wu Zhao, die von 660 bis 705 Kaiserin von China war. Und auch die einzige Frau blieb, der es jemals gelang, die Macht zu übernehmen. Ihre Geschichte ist geprächt von Verrat und Intrigen, die so weit gehen, dass sie angeblich mindestens eines ihrer Kinder ermordet hat, um an die Macht zu kommen. Wenn allerdings ein Mann diese Taten begangen hätte, würde man sagen, dass das damals so war. Ich bin mir also noch nicht ganz sicher, ob ich sie in die Liste meiner Kandidatinnen aufnehmen werde. Wu Zhao wird zwar als eine Peinlichkeit für China betrachtet, aber so ganz trifft sie nicht auf das zu, was ich mit dieser Serie ausdrücken möchte.
Bei dieser Technik fallen viele Stoffreste an, wenn ich die doppelten Lagen hinten wegschneide. Diese Reste möchte ich mit den übrigen schwarz-braunen Stoffen verarbeiten, um möglichst wenig Verschnitt zu haben. Der zweite Quilt bekommt ein Fischgratmuster. Wang und Pang hatten kürzlich mit mir einen Ausflug zu einem Museum unternommen. Der Eingangsbereich vor dem Museum war mit einem Fischgratmustern aus Ziegeln gepflastert. Das sieht man hier oft. Da Wang so begierig drauf ist, neue Techniken zu lernen, fragte ich sie, ob sie wüsste, wie man dieses Muster näht. Wir kauerten also zu dritt auf dem Boden vor dem Museum und analysierten die Nährichtungen. Der Museumswärter schaute uns leicht irritiert zu. Wang lachte sich kaputt. Ich gab ihr und Pang als „Hausaufgabe“ auf, herauszufinden, wie sie das Muster nähen könnten. Mit Pflastersteinen war es einfach zu schwer zu erklären. Wang ließ es absolut keine Ruhe. Am nächsten Tag erschien sie bei mir im Kurs und puzzelte so lange herum, bis sie es herausgefunden hatte. In Zukunft werde ich immer, wenn ich Fischgrat sehe, daran denken müssen, wie wir zu dritt gackernd vor dem Museum hockten.
Außerdem erschien mir dies eine gute Arbeit für meine Assistentin zu sein. Sie könnte die Stoffe hinterbügeln und in Rechtecke zerschneiden. Nur dafür musste ich natürlich das erste Quilt-Top fertig haben, damit wir die Reststücke für den zweiten Quilt nutzen könnten. Diese Aufgabe übernahm Liu. Liu wirkt sehr schüchtern. Aber sie ist gutmütig und freundlich und sehr bemüht. Sie hat auch einen tollen Job gemacht, die Rechtecke zuzuschneiden. Zweimal hat sie sich verschnitten und sich dann tausendmal entschuldigt, dass die Rechtecke zu kurz geworden wären. Das war mir aber herzlich egal, weil ich zum Schluss sowieso alles an Resten zusammegestückelt habe, um möglichst jeden Fitzel von dem Stoff zu verarbeiten. Am Ende des Tages hatten wir 384 Rechtecke. Von meinem braunen Stoffen ist wirklich nichts mehr übrig, außer ein paar Webkanten.
An den nächsten zwei Tagen war hier Feiertagsbetrieb mit einer Notbesetzung sozusagen. Ich machte mich also über meine 384 Rechtecke her und setzte sie zusammen. Ich glaube so schnell war ich noch nie mit einem Quillt in dieser Technik durch. Also war ich heute schon wieder mit der Frage des Heftens konfrontiert. Ich machte mich auf die Suche nach einem Laden für Haushaltswaren. Bei dem zweiten wurde ich auch fündig: Sie hatten Klebeband! Außerdem ahnte der Verkäufer wohl, dass ich mit dem Museum im Zusammenhang stehen könnte. Wir übersetzten mit dem Handy hin und her und der Erfolg war, dass er das Klebeband auf die Rechnung von Mr Yang setzte. Yay! Ich kann hier selbstständig einkaufen gehen und anschreiben lassen!
Da das Vlies mir nach wie vor zu dick ist, aber ich es vorsichtig gespleißt.
Das ging erstaunlich gut. Deswegen habe ich bei dem ersten Quilt alle Heftfäden entfernt, das Vlies ebenfalls gespleißt und wieder neu geheftet. Ich habe mich lange gegen diesen Schritt gewehrt, aber letzten Endes war e eine Sache von einer Stunde und jetzt bin ich zufrieden. Und das ist jetzt Stand der Dinge: Ich habe zwei Tops fertig, die bereits geheftet sind und auf das Quilten warten. Ich denke, für die erste Woche habe ich mein Pensum mehr als erfüllt.