Samstag soll ich einen Vortrag an der Chinesische Art Academy in Hangzhou halten. Der Tag ist aufs genaueste durchgetaktet. Da können wir Deutschen nicht mithalten. Ich bekomme eine Übersicht, die mir Minuten genau sagt, dass der Vortrag um 9:10 anfängt, wann eine 5-minütige Pause eingeplant wird, wo es zum Mittagessen hingeht und dass das Abendessen genau eine Stunde von 17:30 bis 18:30 dauern soll. Allerdings haben sie mir für den darauffolgenden Tag auch einen Ausflug nach Wuzhen versprochen – von dem weiß ich noch gar nichts, also auch nicht, ob er überhaupt stattfindet. Egal. Ich lasse das Ganze auf mich zukommen. Morgens um halb acht soll ich von einem Fahrer abgeholt werden. Um viertel nach sieben klopft der Hausmeister Jin an meine Hotelzimmertür. Ich stehe im BH vorm Waschbecken und putze mir gerade die Zähne. Immerhin. Hätte auch schlimmer aussehen können. Er begleitet mich zu der schwarzen Limousine, die vor dem Hotel steht. Manchmal finde ich es schon kurios, dass sie mir zutrauen, einmal um die halbe Welt zu fliegen, um zu ihnen zu kommen, mir aber nicht zutrauen, vor einem Hotel in ein auf mich wartendes Auto einzusteigen. Jin winkt mir nach und es geht los.
Ich habe hier mittlerweile einige Fahrer erlebt. Die meisten sind ganz in Ordnung. Der Verkehr hier ist einigermaßen zivilisiert, nur manchmal macht sich ein bisschen Wild West Manier bemerkbar. Die Hupe gehört mit zu den wichtigsten Ausstattungsmerkmalen eines jeden Fahrzeugs. Mein heutiger Fahrer macht ausgiebig davon Gebrauch. Also auch auf der einspurigen Zufahrtstrassen zur Autobahn, die links und rechts eine Balustrade hat und auf der sich gerade ein LKW hochquält. Ich frage mich, was er sich erhofft? Dass der LKW sich in Luft auflöst? Auf halber Strecke nach Hangzhou machen wir eine Vollbremsung. Danach fragt er mich, ob ich angeschnallt bin. Dein Ernst?
Einmal angekommen, werde ich gleich in den großen Hörsaal gebracht, in dem ich meinen Vortrag halten soll. Die Chinese Academy of Art gilt als eine der drei besten Kunstakademien des Landes. Der Campus liegt in einem Park, durch den sich ein Flüsschen zieht, an dem links und rechts Trauerweisen stehen. Die Gebäude sind alle von weltbekannten Architekten gebaut. An der Schule wird von 100 Bewerbern einer angenommen – trotzdem gibt es hier ca 7000 Studierende. Dass hier die Elite studiert, wird schnell klar: Fast alle sprechen (mehr oder minder) gut Englisch. Meine Dolmetscherin ist klasse. Sie ist Professorin für Modegeschichte. Bisher hatte ich in allen Schulen das „Problem“, dass ich das Mikrophon halten sollte. Ich hab da im Prinzip auch kein Problem mit, nur ist es sinnlos. Dass die Schüler mich nicht verstehen, liegt nicht an der Lautstärke. Ich besteh also immer darauf, dass die Dolmetscher das Mikrophon nehmen. Das klappt mal besser, mal gar nicht. Hier verstehen sie immerhin sofort, was ich meine.
Beim Mittagessen mit Professor Bai werde ich gefragt, ob ich Ehrenmitglied im Verband Kunsthandwerk in Zhejiang werden möchte. Außerdem wollen sie mich zur Beraterin für die Textilabteilung des College ernennen, an dem Professor Bai unterrichtet. Das College wird gerade ausgebaut und erhält eine Zweigstelle, dessen Direktor er werden soll. Die wichtigste Aufgabe in beiden Ämtern ist, dass ich eine Ernennungsurkunde in Empfang nehme und dabei lächelnd in die Kamera blicke. Das kriege ich hin. Bilder davon habe ich allerdings noch nicht bekommen.
Was bei dem Besuch leider auch viel zu kurz gekommen ist, ist dass ich etwas von den Arbeiten der Dozenten und Studenten zu sehen bekommen hätte oder auch nur etwas mehr zeit gehabt hätte, den Campus anzuschauen. Die Anlage wird viel von Touristen besucht, weil sie so schön ist. Außerdem gehören zwei Mussen zu dem Areal, eines für Moderne Kunst, das ander für Kusthandwerk. Ich hoffe auf ein andermal.
Nachmittags halte ich einen dreistündigen Kurs zum Handnähen. Dort erklärt mir die Dolmetscherin, dass sie jetzt selbst Unterricht hätte und gehen müsste. Es übersetzt eine Studentin, die selbst Teilnehmerin in dem Kurs ist. Ihr Englisch ist eindeutig besser als mein Chinesisch, aber es wird mühsam. Bei der Anmeldung war man von 15 Teilnehmerinnen ausgegangen. Im Raum sitzen 50. Der Stoff muss auf 50 Leute aufgeteilt werden, die Scheren reichen nicht. Ich bin heilfroh, dass ich einen Bestand an Handnähnadeln von Clover dabei habe. Aber irgendwann ist auch das überstanden.
Jetzt werde ich ins Museum BY ART MATTERS gefahren, wo wir eine Ausstellung über Furudougu Sakata anschauen. Furudougu Sakata war ein japanischer Antiquitätenhändler, der legendär dafür war, die Schönheit in alten, zerschlissenen, abgewetzten Gegenständen zu sehen und in großzügigen Räumlichkeiten zu inszenieren. Hier in Hangzhou werden die Objekte, die aus seinem Nachlass gerettet werden konnten, zwar auch großzügig ausgestellt, dennoch wirkt die Darstellung auf mich ein bisschen gezwungen. Unabhängig davon beschleicht einen beim Betrachten dieser einfachen Alltagsgegenständen mit sichtlichen Gebrauchsspuren das Gefühl, dass diese Objekte tatsächlich ein intensives Leben gelebt haben.
Nach dem Museumsbesuch geht es zum Essen in ein hippes Bistro. Das Essen ist super und zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass die Essensmenge eine vernünftige großen Ordnung hat und nicht sinnlos viele Speisen aufgetragen werden. Anschließend werde ich in das Hotel Hanyue gefahren, wo ich für eine Nacht untergebracht bin. Ich weiß gar nicht, ob der Name Hotel hier noch angebracht ist. Es ist ein Marmorpalast, wie ich es noch nicht erlebt habe. Das Gebäude hat ca 20 Stockwerke. Die gläsernen Aufzüge fahren in Innenhöfen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofs ist ein Bildschirm angebracht, der über die gesamten 20 Stockwerke reicht und auf den Landschaften, Bilder aus dem Ozean und aus dem Weltall projiziert werden. Das Bild mit dem Hai zeigt nur das untere Drittel des Bildschirms. Mehr habe ich nicht draufbekommen. Hammer! Mein Zimmer verfügt nicht nur über zwei Betten, sondern über ein Bad mit einer runden Wanne und einer runden Dusche, die in den Schlafraum hineinragt. Was für ein Kontrast! Gestern war ich noch in meinem Atelier in Shaoxing, wo ich immer aufpassen muss, dass mir die Vögel nicht hineinfliegen und heute befinde ich mich in einem Hotelzimmer, bei dem mir Hören und Sehen vergeht.