China

Barbara Lange

Designkurs der anderen Art

28.04.2024

Bei den Vorbesprechungen zu dieser Reise hatte Pang mich darauf angesprochen, ob ich vielleicht auch ein dreitägiges Seminar für die Lehrkräfte der Schule geben könnte. Ich hatte damals angeboten, modernes Design zu unterrichten und dabei im Prinzip an den Kurs „Modern“ gedacht, den ich auch bei der Patchwork Gilde regelmäßig halte. Eine Woche bevor der Kurs stattfinden sollte, druckste Pang etwas rum und meinte, wir sollten das Kurskonzept noch mal besprechen. Nicht nur, dass wir 43 Schüler:innen haben würden, die Hälfte davon seien Designerinnen, die für die Firma „Beyond“ arbeiten. Beyond stellt Bettwäsche im Premiumsegment her und ist in Ningbo ansässig. Außerdem ist Beyond einer der Hauptsponsoren der Hochschule. An einem Nachmittag machen wir einen Ausflug zum Hauptsitz der Firma und werden durch die gesamte Kollektion geführt. Hier kann man Bettwäsche-Garnituren für 7000 € erwerben. Da sind die eigentlichen Decken noch gar nicht dabei. Man kann sich an zwei Fingern ausrechnen, dass die Designer, die für die Firma arbeiten, alle eine Top-Ausbildung genossen haben. Mit einem Kurs, der auf Design basiert, werden wir hier nicht groß rauskommen. Außerdem bieten die zwei Klassenzimmer, die uns zur Verfügung stehen, gar nicht so viel Platz, dass wir dort 45 Designwände aufstellen könnten. Mal abgesehen davon, dass sie gar keine 45 Designwände haben. Genau genommen haben sie nicht Mal eine einzige. Was also tun?

Aber es kommt noch besser. Im Laufe des Gesprächs rückt Pang mit der Information raus, dass vermutlich einige der Teilnehmer überhaupt nicht nähen können. Es wird immer interessanter. „Pang“, frage ich „was willst du, dass ich mit denen mache? Ich bin völlig ratlos.“ Pang strahlt mich an als ob ich der Weihnachtsmann wäre: „Mach einfach, dass sie Patchwork lieben! Sie sollen etwas völlig Neues erfahren, wo sie sich kreativ austoben können und Spaß dabei haben. Das kannst du doch!“

Prima. Das ist ja mal eine ganz klare Ansage. So einen klaren Arbeitsauftrag hatte ich vermutlich noch nie. Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wo ich angreifen soll.

Wir überlegen eine Weile hin und her und beschließen dann, dass wir eine Art modernen Sampler machen, in dem verschiedenste Techniken aufgegriffen werden. Der Plan ist, dass die schnelleren Schüler:innen 8 bis 9 Techniken lernen und die Anfänger:innen ca 5 Techniken machen. Pang ist glücklich. Genauso hat sie sich das vorgestellt. Ich finde die Idee zwar auch gut, aber für mich bedeutet dies, dass ich jetzt genau eine Woche Zeit habe, um das Konzept auszuarbeiten und einen Kursmuster anzufertigen. An sich kein Problem, aber seit dem letzten Wochenende in Shaoxing habe ich eine Erkältung, die sich gewaschen hat. So richtig mit allen Schikanen. Husten, Schnupfen, Halsweh und die Ohren laufen ständig zu. Wenn ich zu Hause wäre, würde ich mich ins Bett legen. Aber das geht jetzt einfach nicht. Irgendwie muss ich da durch. Pang reduziert den Unterricht, den ich mit den regulären Schülerinnen halte, auf ein Minimum. Das ist auch gut so. Die Erkältung hat mich so im Griff, dass ich teilweise kaum sprechen kann. Wenn ich es doch probiere, überkommen mich Hustenanfälle, die nicht mehr feierlich sind. Aber nähen kann ich.

Also schleppe ich mich in Pangs Vorbereitungsraum und erstelle dort mein Kursmuster und das Handout für den sogenannten Design-Kurs, aus dem jetzt eher ein Technik-Kurs geworden ist . Pang legt sich ebenfalls ins Zeug: Sie organisiert, dass vier Studentinnen freigestellt werden und während des Kurses Unterstützung leisten, indem sie Material vorbereiten, Stoffe zuschneiden und den totalen Anfängern beiseite stehen. Außerdem organisiert Pang, ich eine weitere Bernina Nähmaschine aus Shanghai gestellt bekomme. Die 790er steht nach wie vor in Shaoxing, aber jetzt habe ich zusätzlich eine 570er in Ningbo zur Verfügung. Mit der Maschine kann ich ganz anders Gas geben, als mit den Kursmaschinen. Das tut mir zwar einerseits für die Teilnehmer:innen leid, andererseits bin ich heilfroh, dass ich so in Ruhe ausprobieren kann, welche Muster ich mit den TeilnehmerInnen nähen möchte. Außerdem habe ich den Eindruck,  dass Pang selber ganz scharf darauf ist,  diese Maschine auszuprobieren…

Wir haben als Leitthema Bambus gewählt. Alle Muster, die wir erstellen, beziehen sich in irgendeiner Weise auf Bambus oder Muster, die aus Bambus hergestellt werden. Wir sind beide mit dem Konzept rundum zufrieden, trotzdem bleibt ein Rest Nervosität, ob die Idee bei den Kursteilnehmern auch so gut ankommt. Schließlich ist dieser Workshop noch nie erprobt worden. Immerhin lässt meine Erkältung nach. Wird schon schief gehen.

Als der Kurs dann am Mittwoch in der darauffolgenden Woche losgeht, wird sehr schnell klar, dass ca. 15 Teilnehmer:innen nicht nähen können. Also überhaupt gar nie nicht genäht haben. Wir fangen also mit einer ganz einfachen Übung an, bei der sie den Umgang mit dem Rollschneider lernen. Die Teilnehmerin, die ich niemals vergessen werde, ist ein junges Mädchen, das sich mehr oder minder quer über den Tisch legt, um an ihre Nähmaschine dranzukommen, weil sie nicht auf die Idee kommt, die kleine Maschine ganz nach vorne zu sich an die Tischkante zu ziehen. Ich schnappe die Maschine, stell sie so auf, dass das Mädchen auch daran arbeiten kann, und zeige ihr, wie man Stoff anlegt und Nahtzugabe einhält. Das kann hier echt heiter werden. Eine andere Teilnehmerin war vor 24 Jahren mal als Dozentin in Hannover und hat mich vor 7 Jahren auf Instagram entdeckt. Sie ist völlig fertig, dass es mich wirklich gibt und sie mich kennenlernen kann. Im anderen Raum sitzt ein Mann, der bei Beyond für den Stoffeinkauf zuständig ist. Er kann wohl auf eine Industrieähmaschine nähen, aber eine Haushaltsnähmaschine hat er noch nicht einmal eingefädelt. Da hilft echt nur lächeln, winken und weitermachen. Oder beten. Oder beides.

Welche dieser Taktiken im Endeffekt angeschlagen hat, kann ich nicht sagen, Tatsache ist jedoch, dass die Teilnehmer:innen durch die Bank Spaß am Nähen haben und regelrecht Feuer fangen. Offiziell ist der Kurs abends um 4:30 Uhr vorbei. Die meisten bleiben aber zwei bis drei Stunden länger und arbeiten auch die Mittagspause über durch. Mein Sorgenkind bringt zwar die abstrusesten Sachen zustande, aber sie trennt unverdrossen auf und probiert es immer wieder. Einmal kommt sie zu mir und fragt: „Meinst du ich kann das so lassen?“ Sie hat nicht in der Naht genäht, sondern die Stoffe wie bei einer Applikation aufeinander gelegt und wüst zusamnengeschustert. Ich antworte: „Oh je. Wenn du jemandem sagst, dass du das so bei mir gelernt hast, kriegen die und ich gleichzeitig einen Schreikrampf. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.“ Sie grinst. Wir trennen gemeinsam auf.

Die Hannover-Expertin erzählt mir im Laufe des Kurses unzählige Male, dass sie sich mit Upcycling beschäftigt, schon einen Preis dafür gewonnen hat und jetzt eine Aktion „Fabric to Plastik“ organisiert.  Die Plakate hatte ich schon gesehen.  Und nicht verstanden. Ich hoffe schwer, dass es sich um einen Übersetzungsfehler handelt. Aus ihren Erzählungen werde ich auch nicht schlau. Währenddessen entpuppt sich der Herr aus dem Stoffeinkauf als wahrer Wunderknabe. Er ist mit Abstand der schnellste in der Gruppe, obwohl ich im laufend Zusatzaufgaben gebe. Am nettesten ist, wie er dabei von einem Ohr zum anderen grinst. Wenn der keine Ohren hätte, würde er einmal rundherum grinsen.

Und weil wir hier offensichtlich noch nicht genug Wirbel im Raum haben, kommt jetzt auch noch Wang auf mich zu, ob ich ihr erklären könnte, wie ich meine Fibonacci Blumen nähe. Ich gebe ihr einen Ausdruck mit 100 Teilen. Sie druckt es so klein aus, dass es auf eine Handfläche passt. So wird das nix. Sie druckt es ein zweites Mal aus. Jetzt hat das Muster Doppelbettgröße. Ahhhh ja. Na, zumindest kann man damit schön erklären. Sie versteht das System auch sehr schnell und eine halbe Stunde später unterrichtet Wang unsere Studentinnen, die als Helferinnen eingeteilt sind, wie man dieses Muster näht. So war der Tag hier nicht gedacht, aber was soll’s.

Eine andere interessante Erfahrung, die ich mache, ist dass mein Werkzeug ständig weg ist. Sei es meine kleine Schere, mein Klebestift, die Rollschneider von Clover oder die Nähnadeln von Schmetz. Wenn ich mich umdrehe, ist das Zeug weg. Also nicht in dem Sinne, dass es niemand geklaut hätte. Ich bekomme es schon immer wieder zurück. Aber die Teilnehmer:innen merken sehr schnell den Unterschied zwischen ihrem Werkzeug und meinem und wenn sie eine Gelegenheit wittern, mein Werkzeug nutzen zu können, dann nutzen Sie die auch ausgiebig. In einem Fall – bei meinem Sorgenkind, bin ich diejenige, die ihr den Rollschneider hinterherträgt. Die Schule hat nur Rollschneider für Rechtshänder und sie ist Linkshänderin. Das kann man echt nicht mit anschauen. Da gebe ich ihr gerne meinen.

 

Das Arbeitstempo nimmt immer weiter zu. Statt der geplanten neun Techniken stelle ich 12 vor. Abends nach dem Kurs ergänze ich das Handout um die zusätzlichen Techniken und um Bilder, die ich von den neuen Ideen mache, die die Kursteilnehmer:innen einbringen.

Für den dritten Tag ist eine Präsentation der fertigen Arbeiten vorgesehen. Zu dieser kleinen Feierstunde wird der stellvertretende Präsident der Hochschule erwartet und so bricht am dritten Tag ein regelrechtes Nähe-Fieber aus. Alle Teilnehmer:innen – ebenso wie Pang und ich – nähen schier im Akkord. Ich weiß nicht, wie es den anderen dabei ergeht, aber ich bin schweißgebadet. Das Kursmustee war zwar vor Beginn der Veranstaltung fertig, aber im Laufe der drei Tage habe ich ja immer wieder an der Maschine demonstriert und dabei neue Proben angefertigt. Diese Stücke nähe ich an meinen bisherigen Quilt dran und vergrößere ihn. Sogar das Sorgenkind schafft neun Techniken. Der Stoffeinkäufer erscheint mit seinem fertigen Quilt bei mir am Arbeitstisch, als ich gerade an meiner letzten Naht sitze. Er freut sich diebisch, dass er vor mir fertig ist.

Für die kleine Abschlussfeier gehen wir in die Aula der Hochschule und legen die Quilts in einer Ecke des Raumes aus, weil man sie dort von einer Galerie aus von oben fotografieren kann. Der stellvertretende Direktor ist gleichzeitig für die internationale Zusammenarbeit der Hochschule zuständig und begrüßt mich mit den Worten „Guten Tag!“ Seine erste Amtshandlung ist, dass er mir eine Urkunde überreicht, die mir bestätigt, dass ich für die kommenden drei Jahre als Gastprofessorin eingeladen bin. Wow! Damit hatte ich nicht gerechnet… Anschließend muss ich 45 mal in die Kamera grinsen, wenn die Teilnahmeurkunden überreicht werden, die „Fabric to Plastik“ Organisatorin schenkt mir eine Einkaufstasche aus Leben und schon ist der Spuk wieder vorbei. Es war zwar ein wilder Ritt, aber es hat auch Spaß gemacht und ich glaube, dass ich ein Konzept entwickelt habe, dass ich auch in Zukunft immer mal wieder anbieten werde.