China

Barbara Lange

Erdbeeren pflücken auf chinesisch

19.04.2024

Freitag nimmt mich Pang mit auf einen Ausflug. Ursprünglich denke ich, dass es sich um einen Ausflug zu einem Künstlerdorf handelt, der für das Kollegium der Hochschule organisiert wurde.

Eigentlich hätten wir Freitagvormittag Unterricht. Deswegen können wir erst nach dem Unterricht zu den anderen dazustoßen. Am Donnerstag aber kommt Pang aus einer Konferenz und erklärt mir, dass unser Unterricht ausfallen würde, weil die Schüler:innen einen jährlichen Fitnesstest absolvieren würden und wir bereits um 10 Uhr aufbrechen würden.  Wir fahren zu einer kleinen, traditionell gestalteten Anlage mit mehreren Künstlerwerkstätten, die offensichtlich von hochangesehenen Künstler:innen betrieben werden,  wo es aber in erster Linie darum geht, Kinder an Malen, Töpfern, Sticken und Schnitzen heranzuführen.  Aber auch Werkstätten mit traditionellen Techniken wie Bambusweben, Drachenkostüme und Laternen bauen, Porzellanmalerei, bei der die Lasur der Teller angerichtet wird, ehe die Farbe aufgetragen wird und Instarsien mit Elfenbein sind zu sehen. 

Von dort aus geht es weiter in Restaurant, dass ein Mahl auffährt, das einem Staatsempfang Genüge tun würde. Ningbo liegt am Meer. Fischgerichte stehen hier hoch im Kurs es gibt Flusskrebse, Garnelen, lebendige Krebse, lebendige Muscheln, einen braunen Saft, der aus mehreren verschiedenen Bohnen und Weizenarten besteht, aber erstaunlich gut schmeckt. Dazu eine Art Suppe, die aus Reis hergestellt wird, der normalerweise zur Herstellung von Weißwein verwendet wird. Ich möchte jetzt nicht sagen, dass mir alles überragend geschmeckt hat, aber es war auch nicht so, dass ich das Bedürfnis gehabt hätte, irgendetwas wieder auszuspucken.

Wir folgen dem Bus mit den anderen Lehrer:innen zum Erdbeerfeld. Erdbeerfeld??? Doch. Das macht doch absolut Sinn. Nachdem das Treffen eher der Vernetzung und der Kontaktpflege dient, kann man auch gemeinsam aufs Erdbeerfeld gehen. Wobei diese Anlage mit unseren Erdbeerfeldern so überhaupt nichts gemeinsam hat. Wenn man mal von ein paar Erdbeeren absieht. Diese Farm ist eher als Freizeiteinrichtung für Familien zu betrachten, die am Wochenende mit ihren Sprösslingen einen Ausflug mit Bildungscharakter machen wollen.  In der Mitte befindet sich ein überdachter Fußweg, auf dem links und rechts Tafeln angebracht sind, die über die verschiedenen Länder der Welt Auskunft geben. Links und rechts von diesem Weg befinden sich fünf riesige Gewächshäuser, in denen insgesamt zehn verschiedene Obstsorten angebaut werden.

Die Belüftung und Bewässerung der Pflanzen erfolgt digital und wird vom Handy aus gesteuert. Der Gärtner drückt auf bei ein paar Knöpfchen und das war’s. Die Obstsorten sind so ausgewählt, dass es zu jeder Jahreszeit etwas zu Ernten gibt. Wir hätten hier also auch zu einer anderen Jahreszeit hingehen können, um Mangos, Papayas, Drachenfrucht oder sonst irgendetwas zu ernten, im April sind es Erdbeeren. Um genau zu sein, weiße Erdbeeren. Die Pflanzen sind in langen Trögen eingesetzt, die an unsere Blumenkästen erinnern. Diese Blumenkästen befinden sich auf mehreren Etagen, um den Platz möglichst auszunutzen. Die Anlage dreht die verschiedenen Etagen wie in einem Paternoster, das heißt die Erdbeeren, die im Bild ganz oben zu sehen sind, wandern im Laufe des Tages nach , wo man die Früchte bequem im Stehen ernten kann und später fahren sie dann wieder nach oben.

Wir dürfen so viele Erdbeeren essen wie wir möchten. Dann bekommt jeder ein kleines Körbchen in die Hand gedrückt. Jeder darf sein Körbchen füllen. Pang ist ganz begeistert und hat ihr Körbchen ruckzuck voll. Sie schaut in mein halbvolles Körbchen, meint, das seien eindeutig zu wenig, fängt an ein Teil ihrer Erdbeeren in mein Körbchen umzufüllen und pflückt munter weiter, bis wir beide ein Körbchen mit einem großen Haufen obendrauf vorweisen können. Dann allerdings stellt sich heraus, dass beim Eintritt für jeden ein Pfund Erdbeeren bezahlt worden sind. Am Ausgang von der Erdbeerhalle wird gewogen. Alles, was über ein Pfund ist, wird mit den jeweiligen Personen abgerechnet. Pang ist eine der großzügigsten Personen, die ich kenne. Aber jetzt fängt sie an, Erdbeeren zu futtern, damit sie nicht über die Gewichtsgrenze kommt. „Barbara, komm! Essen! Essen!“ Wir lachen uns schlapp. Die anderen schauen uns irritiert an und wir kommen aus dem gackern nicht raus. Wir müssen uns nur gegenseitig anschauen, dann wieder eine Erdbeere in den Mund schieben und schon geht’s wieder los. Aber man kann es auch übertreiben. Also gehen wir mit unseren übervollen Körbchen dann doch zu der Waage hin, und dann passiert es: die Dame an der Waage nimmt eine großzügige Handvoll aus unseren Körbchen raus, stellt das so auf Normalmaß reduzierte Körbchen auf die Waage, drückt auf das Knöpfchen für die Bestätigung, und legt die Erdbeeren aus ihrer Hand wieder zurück ins Körbchen. Die ganze Aufregung umsonst. Pang und ich lachen, bis jetzt die Tränen kommen.

Auf dem Weg hinaus schleiche ich kurz zum Gewächshaus mit den Drachenfrüchten. Ich habe die Pflanze vorher noch nie gesehen. Hat was von Kaktus. An der vordersten Pflanze kann man sehen, dass sie bereits Früchte angesetzt hat.

Als ob das nicht genug für einen Tag gewesen wäre, steuern wir jetzt auf einen weiteren Höhepunkt meiner Reise zu: Mein Bruder ist heute geschäftlich in Ningbo. Pang hat uns zu einem gemeinsamen Abendessen am Bund eingeladen. Xiao stößt auch noch mit dazu. Und weil Pang eben Pang ist und wie gesagt eine der großzügigsten Menschen ist, die ich kenne, hat sie uns auf ein Restaurantschiff eingeladen, das am Bund festgemacht hat. Nach dem feudalen Mittagessen und den vielen Erdbeeren kann man jetzt echt nicht von Hunger sprechen, aber wenn es so gut schmeckt, langt man natürlich doch wieder zu. Unter anderem essen wir hier zum ersten Mal auf dieser Reise Peking Ente. Danach bummeln wir an der Promenade vom Bund entlang und durch die schmalen Gassen mit den alten Häusern, in denen sich heute die Barszene wiederfindet, geht es zurück zum Auto. Es war ein wunderbarer Abend.  Die Gastfreundlichkeit der Chinesen ist glaube ich schwer zu überbieten.