China

Barbara Lange

Nanjing – alte Hauptstadt mit düsterer Vergangenheit

11.06.2024

Für unsere Fahrt von Suzhou nach Nanjing hatte ich mir etwas Besonderes überlegt: Ich wollte gerne Business Class fahren. Bisher waren wir immer zweiter Klasse unterwegs, das ist mit zweiter Klasse in unseren ICE‘s vergleichbar. Die Chinesen haben natürlich auch erste Klasse-Abteile, aber Business Class setzt noch einen drauf. Beim Einsteigen wird man von einer Stewardess begrüßt, die nur für dieses Klasse zuständig ist. Das Abteil nimmt einen halben Wagon ein und ist in sich nochmal zweigeteilt. In dem einen Bereich sitzen fünf Passagiere, in dem anderen zwölf. Jeder hat so eine Art Ei, in dem der Sitz eingelassen ist. Man kann den Sitzbeliebig verstellen, selbst wenn er ganz flach ausgefahren ist, so dass man wir in einem Bett liegt, ist noch Platz zum vorderen Sitz. Die Stewardess bringt Tee und Knabbereien und bei Bedarf Hausschuhe und eine Decke. Die Durchsagen, die in den anderen Wagons gefühlt stundenlang laufen und einem erzählen, dass man nicht laut sprechen soll, keine duftenden Speisen verzehrten soll, nicht rauchen darf, auch nicht in den Klos, dass man in den Klos keine Sonnschutzsprays verwenden darf, und kein Haarspray, also überhaupt keine Sprays, entfallen in der Business Class. Die Stewardess weiß, wo jeder Passagier aussteigen will und erinnert einen fünf Minuten vor der Ankunft. Es ist surreal. Der Service hat natürlich seinen Preis, aber wir haben es total genossen. Vor ein paar Jahren hatte ich das mal auf einer zwanzigminütigen Fahrt erlebt, jetzt wollte ich das meiner Tochter zeigen, und zwar auf einer Strecke, die lang genug ist, dass man es genießen kann aber immer noch so kurz ist, dass man sich das Vergnügen leisten kann. Die Strecke von Suzhou nach Nanjing ist ca. 215 km lang.  Der Hochgeschwindigkeitszug fährt 350 km/h und schafft daher die Strecke in ca. 1 Stunde, obwohl er in unserem Fall bestimmt 5 Mal unterwegs gehalten hat. Ideal, um sich diesen Luxus einmal zu gönnen.

In Nanjing angekommen, nehmen wir in Taxi zum Hotel und stellen dabei fest, dass die Umgebung wieder so unübersichtlich zwischen zwei Autobahnkreuzen liegt, wie es in Shanghai der Fall war. Wenn man mal die Metro-Station gefunden hat, ist Metro fahren in China einfach. Man muss zwar durch eine einfache Sicherheitskontrolle, aber dafür ist es einfach, die Fahrkarte zu kaufen. Die Automaten haben alle eine englische Version. Man tippt auf dem Bildschirm auf die Station, zu der man möchte, gibt die Anzahl der Passagiere an und bezahlt entweder bar oder mit WeChat. Eine Fahrt kostet umgerechnet zwischen 30 und 80 Cent. Wir liegen zwischen drei Metro-Stationen, jede ist zu Fuß 30 Minuten vom Hotel entfernt und bei jeder müsste man eine Autobahn überqueren. Wir schenken es uns daher, mit der Metro in die Stadt zu fahren. Taxi fahren ist in China auch nicht teuer. Die Schwierigkeit besteht eher darin, ein Taxi zu rufen. Es gibt die Didi-App, bisher bin ich aber immer drumherum gekommen, sie zu nutzen. Die Eingabe von meinem Ziel auf Chinesisch ist mir doch suspekt.

Wir wollen zu der Stadtmauer von Nanjing. Sie war ursprünglich 35 km lang. Heute besteht sie aus drei Teilstücken mit ca 25 km Länge, trotzdem wird sie als die längste Stadtmauer der Welt bezeichnet. Im Norden grenzt sie an den Yangtze Fluss und an den Xuan-Wu See. Dort möchte ich hin. Ich bin auch der Meinung, dass ich das auf der Karte richtig ausfindig gemacht habe. Der Taxifahrer ist anderer Meinung. Er hat recht. Wenn wir mit der Metro gefahren wären, wären wir komplett woanders rausgekommen.

Die Sonne brennt runter. Man merkt es nicht sofort, weil eine angenehme Brise weht, aber im Lauf der Zeit wird einfach alles anstrengend. Daher brauchen wir erstmal ein Eis. Auf dem Eis sind neben Kirschen auch Tomaten. Alles ganz normal hier.

Wir laufen auf der Mauer bis zum Jiming Tempel. Von dort aus führt ein Damm auf die erste von zwei Inseln im See. Auf der Insel kann man boote ausleihen, die auf den ersten Blick aussehen wie Tretboote, aber elektrobetrieben sind. Wir haben die Wahl zwischen Delfinen, Schwänen, Mandarin-Enten, Flamingos und Gummienten. Die Gummiente gewinnt und so tuckern wir eine Stunde über den See. Eine Meinung besagt, wir wären total elegant über den See geglitten, die andere behauptet, wir wären übelst Schlangenlinien gefahren. Das Urteil steht noch aus. Lustig war es auf alle Fälle.

Der Weg führt uns anschließend weiter über die beiden Inseln zurück zum Stadttor. Wir suchen uns einen Platz zum Abendessen und gehen dann zurück auf die erste Insel, um den Sonnenuntergang und die Abendstimmung zu genießen. Wenn den Chinesen etwas gefällt, hängen sie ein Lämpchen dran. Wenn es ihnen besonders gefällt, darf es auch bunt sein. Und ganz besondere Stellen bekommen ganz viele Lämpchen, die die Farben wechseln. Blinken ist dürfen die Lämpchen aber nicht. Das ist anscheinend uncool und da muss ich ihnen Recht geben. In Sachen Beleuchtung haben sie echt was drauf.

Am nächsten Tag kommen wir beide nur schwer aus dem Bett. Müssen wir auch nicht. Wir bleiben heute in Nanjing und da müssen wir nicht zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein. Wir nehmen ein Taxi zu dem Nationalpark auf den Purple Mountains, in dessen Mitte sich das Dr. San Yat-sen Mausoleum befindet. Neben dem Museum befinden sich in dem Park auch noch Ming-Gräber, ein Palast, eine Unterwasserwelt und etliche kleinere Sehenswürdigkeiten Man entweder zu Fuß zu gehen, oder man steig in einen Shuttle-Bus. Das Bussystem erschließt sich uns nicht so wirklich, aber immerhin kommen wir bei dem Mausoleum an. Wieder einmal stellen wir fest, dass Ende Mai/Anfang Juni vermutlich die ideale Reisezeit ist. Es ist warm, fast heiß, aber es sind vergleichsweise wenig Touristen unterwegs. Das Mausoleum bietet mit seiner steilen Treppenanlage zwar spektakuläre Aussichten, aber bei Temperaturen um die 35° und Menschengedränge möchte man hier echt nicht unterwegs sein. Wir können an allen Toren quasi durchlaufen. Man muss sich mal wieder mit dem Pass registrieren, aber es kostet keinen Eintritt. Und die Sache mit dem registrieren ist auch nicht so ganz banal. Wir geben brav in meinem Handy die Angaben meiner Tochter ein, aber ob ich selbst ein Ticket bekommen habe, erkennen wir nicht so recht. Es werden überall Apps verwendet, um Ticket zu kaufen, aber ich habe in meiner ganzen Zeit keine einzige gehabt, die eine englische Version angeboten hätte. Man fummelt sich so durch. Sie sind echt nicht auf Ausländer eingestellt. Das hat zur Folge, dass wir ein dickes Fell entwickeln. Wir sind zwar kooperativ, aber wenn etwas nicht klappt, weinen wir unser Kopfkissen auch nicht nass. So auch hier. Wir zeigen der Kontrolldame unseren Code, den das Handy anzeigt. Meine Tochter kann durch, aber das Ticket für mich fehlt. Sie winkt mich durch. Die Kontrollstellen haben oftmals genau so resigniert, wie wir auch. Wenn man guten Willen zeigt und sie mit Englisch zuquatscht, lassen sie die Ausländer durch, weil keiner so recht weiß, was sie sonst tun sollen.

 

Das Mausoleum besteht wie gesagt aus einer steilen Treppenanlage, die zu einer Wandelhalle hinaufführt, in deren Mitte die Staue von Dr. Sun Yat-sen steht. Er war einer der Gründerväter des neuen China zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er wurde zu Kaiserzeiten geboren, wurde Revolutionär, beteiligte sich 1895 am Kantoner Aufstand und ging ins Exil, als der Aufstand scheiterte. 1911 überzeugte der die europäischen Regierungen, der Qing Dynastie keine Gelder mehr zu geben und wurde im selben Jahr der erste Präsident der Republik China. Er wurde zeitweise wieder abgesetzt, hat aber in seiner zweiten Amtszeit dafür gesorgt, dass die unfairen Handelsverträge, die seit den Opiumkriegen mit Europa bestanden, abgeschafft wurden. 1925 ist er gestorben und daraufhin wird das Mausoleum in Nanjing gebaut, das seinerzeit die Hauptstadt Chinas war. Wenn man mit der Geschichte Chinas nicht vertraut ist, berührt einen dieser Ort wahrscheinlich nicht so sehr, wie er einen Chinesen beeindruckt. Wir fanden, dass er Parallelen zu dem Lincoln-Memorial in den USA hat, das für Amerikaner auch eine tiefere Bedeutung hat als für ausländische Touristen.

 

Unser Weg führte uns weiter zur Gedächtnishalle für die Opfer des Massakers von Nanjing. Am 3. Dezember 1936 haben die Japaner Nanjing besetzt und sechs Wochen eine Orgie der Gewalt entfesselt. Man spricht von 300.000 Todesopfern und 80.000 Vergewaltigungen. Eine offizielle Entschuldigung der Japaner gibt es bis heute nicht. Das Areal mit der Gedächtnishalle ist riesig. An den Wänden hängen Bilder der Opfer, der Gräueltaten und der Personen, die versucht haben zu helfen. Unter anderem hat der Deutsche John Rabe, der in Nanjing für Siemens gearbeitet hat, zusammen mit anderen Ausländern eine Schutzzone errichtet, in der bis zu 200.000 Chinesen Zuflucht vor den Japanern fanden. In einer weiteren Halle liegen Skelette im Boden, die in Massengräbern gefunden haben und unvorstellbare Verletzungen aufweisen. Es ist kein schöner Touristen-ausflug, aber ein wichtiger Besuch, wenn man versuchen möchte, China zu verstehen.

Unser Abendprogramm war wieder deutlich fröhlicher gestimmt. Der Stadtteil von Fuximiao wird von Kanälen durchzogen, die von alten Holzhäusern gesäumt sind. Das Ganze ist natürlich sehr touristisch. Aber die Geschäfte, Souvenirläden und Restaurants zielen eindeutig auf chinesische Kundschaft – von westlichen Touristen können die auf keinen Fall leben. Wir haben vielleicht 3 weitere westliche Personen gesehen. Und damit ist das Angebot doch wieder sehr exotisch für unsere Augen. Mitten in diesem Getümmel sind wir auf den Konfuzius-Tempel gestoßen. Das hatten wir so gar nicht bedacht, aber wenn man diesen Besuch bewusst plant, kann ich nur empfehlen, dort zum Einbruch der Dämmerung hinzugehen. Die Beleuchtung ist spektakulär! Im hinteren Innenhof stehen zwei Pavillons, in dem einen hängt eine riesige Trommel, in dem anderen eine große Glocke. Wenn man eine Opfergabe gibt, darf man mit einem gepolsterten Hammer zehn Mal auf die Trommel schlagen, oder mit einer Ramme die Glocke zum Läuten bringen, um seinen Gebeten mehr Nachdruck zu verleihen. Hinter dem Tempel ist ein weiterer Hof, an dessen Ende ein Museum untergebracht ist, das die berüchtigte Beamtenprüfung von früher dokumentiert. Von dieser Prüfung hört man China immer wieder, wenn man durch China reist. Die wenigsten Prüflinge haben bestanden – wenn man es geschafft hatte, war einem eine Karriere am Kaiserhof sicher. Die Beamten verkörperten Wissen und Aufrichtigkeit. Wenn einer sich doch als bestechlich erwies, wurde er bei lebendigem Leib gehäutet. Ich denke mal, die Praxis wurde heutzutage eingestellt.