China

Barbara Lange

Ostern im Museum

01.04.2024

Als ich aufwache schüttet ist wie aus Eimern. Kein Wetter für Sightseeing, also beschließe ich, mein Studio einzuweihen und heute zum ersten Mal an einem eigenen Quilt zu arbeiten. Die Seide, die ich auf dem Seidenmarkt gekauft habe, will verarbeitet werden.

Beim Kreativzentrum stehen zwar alle Türen offen, also im Sinne von komplett offen nach draußen, nur mein Zimmer hat ein eigenes kleines Vorhängeschloss, weil sich darin ja die große Nähmaschine befindet. Ich sage immer Kreativzentrum, der offizielle Name ist Zhejiang Provinzial Folk Art Quilt Museum. Aber das trifft es nicht so genau. Auf dem Gelände befindet sich neben dem Museum ein großer Besprechungsraum, mehrere Büros und in einem hinteren Gebäude Ateliers und Klassenzimmer. Die Einrichtung dient dazu, Schülern die chinesische Tradition des Patchwork näherzubringen. Außerdem können Schulen, Horte und Altenzentren hier Kurse durchführen lassen, in denen die Teilnehmer einfache Techniken lernen. Und dann werden hier auch die Shopartikel für das Museum produziert. Im hinteren Teil der Anlage führt eine Treppe in einen tiefergelegten Bereich hinunter, den Mr. Yang an eine kleine Hinterhofwerkstatt vermietet hat. Hier werden offensichtlich Jeans für den Export hergestellt. Die Arbeitsbedingungen sehen erbärmlich aus. Das muss ich mir mal bei Gelegenheit genauer anschauen.

Heute ist außer mir niemand in der Anlage – nur der Hausmeister schaut ein Mal bei mir rein und ist erstaunt, dass ich alleine, ohne Assistentin arbeite. Leider habe ich meinen Rollschneider im Hotel vergessen, deswegen mache ich mich auf die Suche nach dem Paket, das die Firma Clover ins Museum geschickt hatte.

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Nachdem ich Bedenken hatte, wie die Ausstattung in den Kursräumen wohl sein könnte, hatte ich Clover gebeten, ob sie mir eine Ausstattung für einen Kurs schicken könnten. Das haben sie auch getan , und so bin ich jetzt im Besitz von Rollschneidern, Stecknadeln und Nähnadeln, die wirklich scharf sind. Es dauert eine Weile, bis ich das Paket finde, aber jetzt habe ich alles: meine Maschine, die Designwand, jede Menge Lineale und einen Zuschneidetisch, auf den offensichtlich gerade ein Vogel gekackt hat. Jetzt erklärt sich auch, warum die Nähmaschinen in den Nachbarräumen abgedeckt sind. Wem ist bisher noch nicht aufgefallen ist: Hier in Shaoxing ist alles etwas rustikaler als in Ningbo. Das mag dem Klima geschuldet sein – mir ist durchaus bewusst, dass es in warmen Ländern viel schwieriger ist, Gebäude zu pflegen, als bei uns in Deutschland. Dazu kommt die extrem staubige Luft. Das erklärt aber nicht alles, was ich hier vorfinde. In meinem Atelier funktioniert nur eine Lampe. Eine zweite wäre zwar da, aber die Leitung scheint defekt zu sein. Das beeindruckt aber niemanden wirklich. Im großen Atelier nebenan gibt es eine Dampfbügelstation mit externem Wassertank. Der Wassertank ist ein Kanister, der an der Decke hängt und mit einer Klemme gesteuert wird, wie man sie von Infusionsschläuchen kennt.  Der Schlauch für die Wasserzuführung knickt aber ständig ab. Ich habe bereits noch 5 Minuten die Faxen dicke und spendiere dem Bügeleisen ingenieursmäßig eine Aktenklammer, um den Schlauch zu fixieren.
Und wenn ich schon dabei bin das hier möglichst naturgetreu zu beschreiben, dann muss ich auch kurz über die Toiletten sprechen. Wer das nicht hören möchte, soll zum nächsten Absatz weiterscrollen. Ich zeig auch kein Bild. Versprochen. Ganz ehrlich: So eine Konstruktion habe ich noch nie gesehen. In dem Raum befindet sich eine Rinne, die von der linken bis zur rechten Wand geht. Die Rinne ist auf der linken Seite ca 25 cm, auf der rechten Seite ca 40 cm tief und ungefähr 15 cm breit. Über diese Rinne wurden zwei Kabinen gebaut. Die Holzwände gehen mir ungefähr bis zur Hüfte. Links an der Wand ist ein Spülkasten, der ca 30 l Wasser fasst. Das Zugseil hängt außerhalb der Kabinen, damit jeder drankommt. Auch die Leute von der rechten Kabine, die ja keinen Spülkasten haben. Mehr ist nicht. Na gut, außer den obligatorischen Mülleimern für das Toilettenpapier. Die Krönung ist das Licht, das automatisch gesteuert ist und sofort ausgeht, wenn man über dieser Rinne hockt. Später habe ich die Herrentoilette inspiziert. Dort gibt es eine Konstruktion die in die Kategorie „schon mal gesehen, kann ich bedienen“ fällt. Ich nehme mir vor, das Klo nicht zu benutzen, wenn ws sich irgendwie vermeiden lässt.

Ansonsten arbeitet es sich sehr nett. Draußen zwitschern die Vögel, hin und wieder kräht ein Hahn und in ca 200 m Entfernung liegt ein Tempel, der zu jeder vollen Stunde ein Glockenspiel läuten lässt.

Ich arbeite bis Mittag und esse dann eine der beiden Mangos, die ich gestern direkt vom LKW gekauft habe. Ich wollte zwar nur eine haben – die Dinger sind riesig – aber der Herr bestand darauf, dass er die Mangos nur immer zu zweit verkaufen will. Also gut. Außerdem hatte ich in einem Eisenwarenladen ein kleines Klappmesser erstanden. Ich bin also bestens ausgestattet. Außerdem war ich in einem Laden für, ähh… ich weiß noch nicht einmal wie ich es bezeichnen soll: Die verkaufen alles was man für chinesische Feste brauchen könnte. Also Umschläge für Geldgeschenke, Räucherstäbchen und Dekokram. Ich frage, ob sie auch Lampignons verkaufen. Da geht die Verkäuferin her und hängt einen ihrer eigenen Lampignons ab. Der Laden sieht seither etwas gerupft aus.

Weiter findet man in dieser Straße eine Mofa-Werkstatt, mehrere Friseure, Läden, die Reis in Gebinden verkaufen, die an 50 l Mehlsäcke erinnern, Obstgeschäfte, Handyläden, Reinigungen, eine Unzahl von Imbissläden und einem Laden, der wie ein Supermarkt aussieht, aber ausschließlich Snacks verkauft. Beim Anblick der einzelnen verpackten Shrimps und Mini-Würstchen stellt es mir die Haare auf.

Die nette Musik fängt wieder an zu spielen und ich beschließe, den Tempel zu besuchen. Der Tempel hat zu und Musik spielt er auch nicht. Die kommt von irgendwo anders her. Am nächsten Tag erfahre ich, dass dies die Autos von der Stadtreinigung sind. Wenn sie durch die Straßen fahren und die Fahrbahn nassspritzen, um den Staub in den Griff zu bekommen, spielen sie dieses Lied, das an ein Glockenspiel erinnert. Böses Foul von Trulla und mir. Tempel. Wer kommt denn auf sowas? Stadtreinigung, ist doch logisch. Einer von uns beiden muss sich in die Ecke stellen und sich für so viel Dummheit schämen.