China

Barbara Lange

Tücken auf der Bühne in China

20.05.2024

DuLiang hat organisiert, dass der Übersetzer, der meinen Vortrag in Wuhan übersetzen soll, sich am Vortag mit mir kurz getroffen hat, um ein paar Begriffe zu klären. Das ist normales Prozedere. Was in diesem Fall neu ist, ist dass der Übersetzer ein Vollprofi ist und sich intensivst mit meinem Thema „Bauhaus“ auseinandergesetzt hat. Ich habe das Gefühl, er kennt sich besser aus als ich. Er ist sehr angespannt, weil er normalerweise bei geschäftlichen Treffen übersetzt und sich mit Kunst nicht so richtig auskennt. Im Vorfeld habe ich ihm meine Powerpoint-Präsentation zukommen lassen, die nur aus Bildern und ein paar Schlagworten besteht. Ich habe zwar ein Skript, darin sind aber viele Informationen enthalten, die mir nur als Hilfestütze dienen, wenn jemand tiefergehende Fragen stellen sollte, die ich nicht aus dem Stand beantworten kann. Das war bisher noch nie der Fall, aber kann ja nicht schaden. Den Vortrag an sich kann ich frei halten. Bei meinem China-Besuch vergangenes Jahr habe ich einmal den Fehler gemacht und ein Skript für einen Vortrag zur Verfügung gestellt. Die Übersetzerin war – wie in den meisten Fällen – eine Studentin und hat dieses Skript Wort für Wort übersetzt. Sie war prompt völlig verloren, als ich anfing, frei zu sprechen. Seither ziehe ich es vor, mich mit dem Übersetzer zu treffen, Begriffe und den groben Ablauf zu klären, weil ich ums partout keinen Vortrag halten möchte, bei dem ich einen vorgefertigten Text ablese. Da würde ich mich fragen, wozu ich die Reise auf mich genommen habe. Lesen können die Leute selber, sie brauchen nicht mich, damit ich Ihnen mein Skript vorlese. Außerdem ist ein freier Vortrag einfach viel lebendiger. Bisher hat die Methode auch immer gut geklappt, nur dieser arme Übersetzer ist völlig fertig, weil er sich seit einer Woche nur mit Bauhaus auseinandersetzt und versucht, sich Hintergrundwissen zu erarbeiten. Er tut mir direkt leid. Wir besprechen die Inhalte, und ich versuche ihn zu beruhigen, dass wir das zusammen mit Sicherheit gut wuppen werden.

Zu dem Vortrag werden ca. 400 Leute erwartet. Zum einen ist dies der erste Vortrag, der an dieser relativ kleinen Universität von einer Ausländerin gehalten wird, zum anderen hat die zuständige Finanzstelle beschlossen, dass sich die Ausgaben nur lohnen, wenn mindestens 400 Zuhörer davon profitieren. Daraufhin hat das Institut diesen Vortrag kurzerhand zu einer Pflichtveranstaltung für die Student:innen erklärt. Mir wird gesagt, dass ein Großteil dieser zwangsverpflichteten Zuhörer:innen von anderen Studienbereichen kommen würden und wenig Interesse an dem Thema haben würden, dass sie aber anwesend sein würden, um die nötigen Zuhörerzahlen sicherzustellen. …okay…? Nur so nebenbei: es ist Sonntagvormittag. Da würde mich als Studentin eine zusätzliche Pflichtvorlesung noch dazu für eine andere Studienrichtung nur bedingt begeistern. Eigentlich weniger. Also: so überhaupt gar nicht. Ein Grund mehr, dass es ein guter Vortrag wird.

 

 

Ich werde gebeten, meinen eigenen Computer mitzubringen. DuLiang benötigt ihren, um eine Live-Übertragung von der Veranstaltung ins Internet zu streamen. Wie ich ankomme, stehen vorne auf der Bühne vier Tische nebeneinander, wie bei einer Pressekonferenz. Dort soll ich meinen Computer aufstellen, mich auf einen der Stühle setzen, und mein Vortrag halten. Kommt nicht in Frage. Ich setze mich da nicht hin. Ich bin doch kein Nachrichtensprecher aus den 70er Jahren. Da müssen ja geradezu alle im Saal einschlafen. Bei meinen Vorträgen stehe ich immer, laufe rum oder zeige auf Details auf dem Bildschirm, um meine Erklärungen zu verdeutlichen. Das mit dem Sitzen können sie knicken. Sie räumen drei Tische weg, der vierte bleibt. Vielleicht möchte ich ja doch Sitzen…?… Nein.

Zunächst kämpfe ich aber mit einem ganz anderen Problem: Hier haben Sie keine Steckdosen, die für mein Computer-Netzkabel geeignet sind. Die Steckdosenanschlüsse hier haben flache Schlitze, da passen keine Eurostecker hinein. Bisher war jedes Hotel und jede Uni mit Kombinationssteckdosen ausgestattet. Diese Ausstattung sehe ich zum ersten Mal. Ein Adapter ist nicht aufzutreiben. Mein Laptop hat zwar einen vollen Akku, ich bin mir mir aber nicht sicher, wie lange der im Zweifel halten wird und es wäre peinlich, wenn sich der Computer mitten im Vortrag verabschieden würde. Ich frage DuLiang, ob es nicht doch noch einen anderen Laptop geben würde, den wir nutzen können, und siehe da, ihr Mann hat einen dabei. Wir ziehen die PowerPoint-Präsentation auf einen Stick, die Präsentation öffnet sich auch auf dem neuen Laptop, allerdings friert PowerPoint sofort ein und damit kann ich nicht zu der nächsten Folie weiterblättern. Mittlerweile ist es fünf Minuten vor Beginn des Vortrags. Auf der Leinwand ist nichts außer einem chinesischen Fehlercode zu sehen. Mir läuft der Schweiß in kleinen Bächen hinten am Rücken herunter, ab in die Unterhose. Wir ziehen die Präsentation von dem USB-Stick direkt auf den Desktop des Laptops herunter und siehe da: es funktioniert! Was jetzt noch fehlt, ist eine Fernsteuerung für den Laptop. Ich kann die Präsentation ausschließlich am Laptop weiterblättern. Weil der Rednertisch zum Sitzen gedacht ist und deswegen recht niedrig ist, wird das auf Dauer lästig. Eine Fernbedienung gibt es nicht. Doof. Deswegen wird der Schreibtisch jetzt auf der Bühne nach ganz vorne rechts verschoben, dort sitzt jetzt der Dolmetscher, der einen zusätzlichen Job gewonnen hat: auf Zuruf die Präsentation weiterschalten. Und ich kann im Stehen präsentieren.

Ein Thema, was sonst immer auftrat, in Wuhan aber nicht, war die Sache mit dem Mikrophon. Wenn nur eines vorhanden ist, haben meine Gastgeber es immer mir in die Hand gedrückt. Das mag zwar normal erscheinen, aber ich bin der Meinung, dass die Dolmetscher das Mikrophon mehr benötigen als ich. Wenn die Leute in China mich nicht verstehen, liegt es zumeist nicht an der Lautstärke. Das lässt sich in den Köpfen der Chinesen mit ihrem Anspruch an die Höflichkeit und dem Respekt ihrem Gast gegenüber nur schwer vereinbaren, aber eine Übersetzung, die keiner hören kann ist nun wirklich nicht sinnvoll. Und wenn man jemand, der kein Englisch versteht, besonders laut auf Englisch anspricht, löst man sein Problem auch nicht. Daher entsteht bei solchen Gelegenheiten gerne eine kleine Debatte. In Wuhan (und wie auf dem Bild, das in Xi’an aufgenommen wurde, zu sehen) haben wir zwei Mikrophone. Also alles gut. Wir können pünktlich starten und der Vortrag läuft trotz des holprigen Starts wie geschmiert. Es kommen am Schluss sogar Fragen aus dem Publikum, was sonst eher selten der Fall war. DuLiang und ihr Vorgesetzter sind glücklich, ich bin glücklich und dem Dolmetscher fällt ein riesen Stein vom Herzen. Geschafft!

Nachmittags findet ein zweites Gespräch im Atelier von DuLiang statt. Sie hat ihre Student:innen, die Inhaberin eines Quiltgeschäfts aus Wuhan mit ihrem Personal und ein paar befreundete Professorinnen zu einem gegenseitigen Austausch eingeladen. Die Ladeninhaberin Wang bringt Quilts mit, die sie nach amerikanischen Vorlagen extrem sauber gearbeitet hat. Auf der anderen Seite des langen Tisches liegen die Arbeiten von DuLiangs Student:innen, die sehr kreativ sind, dafür aber handwerkliche Schwächen aufweisen. Sie will meine Meinung zu den Arbeiten hören. Au weia. Mach das mal, ohne der einen oder andern Seite zu nahe zu treten. Hier ist Diplomatie gefragt. Wir tauschen Tipps und Tricks aus und DuLiang führt vor, wie sie die Küppe pflegt, in der sie mit Indigo färbt. Es ist richtig interessant.

Im Raum läuft zwar eine Klimaanlage, aber ich schwitze trotzdem aus jedem Knopfloch und meine Haare sind klatschnass. Zum Schluss verteile ich eine Runde Gummibärchen und dann bin ich auch nicht traurig, als die Runde sich auflöst. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich von Kopf bis Fuß klebe. DuLiang schlägt einen Spaziergang am nahegelegenen Fluss vor. Dort ist die Luft wesentlich angenehmer und die Temperatur erträgliche. Ich sehe zum ersten Mal in China tatsächlich Kühe. Auf dem Bild kann man im Hintergrund Hochhäuser sehen, trotzdem handelt es sich hierbei um ein Dorf. Ein Dorf mit 50.000 Einwohnern. China eben.