Shaoxing hat sich für die anstehende Workshop-Woche herausgeputzt. Jin färbt Stoffbahnen, um den Innenhof zu schmücken. Die zwei Streuner, die im Innenhof leben, bekommen eine Art Hundehütte. Das Wetter ist super. Trotzdem entwickelt sich der Workshop in Shaoxing dieses Mal zu einer echten Herausforderung. Dabei sind die Grundvoraussetzungen so gut wie noch nie. Die zur Verfügung gestellten Maschinen sind entweder Berninas oder Spitzenmodelle von Bernette. Mittlerweile arbeitet Bernina eng mit dem Museum zusammen, das ist eine echte Bereicherung.
Wir haben 12 offizielle Teilnehmerinnen und 5 „Kiebitze“ aus der Nähstube des Museums. Das ist weniger als vergangenes Jahr, liegt aber daran, dass der Kurs dieses Mal nicht als kostenlose Lehrerfortbildung angeboten wird. Damit haben wir auch niemanden dabei, der noch nie genäht hat und nur mal zum Spaß in Patchwork hineinschnuppern möchte. Für mich ist das ein echtes Plus. Ich habe echt nichts gegen Anfänger:innen, aber in einem Kurs, der für Fortgeschrittene ausgeschrieben ist und ausgebucht ist, sind Leute, die noch nie genäht haben eine echte Herausforderung.
Dieser Kurs war auf 2-5 Tage ausgelegt. Das Museum hat ihn mit 5 Tagen angesetzt. Das nimmt den Druck raus. Andererseits haben sich zwei Professorinnen angemeldet, die in China echte Koryphäen auf dem Gebiet von Seidenmalerei und Färben mit Naturmaterialien sind. Damit ist der Druck wieder da 🙂
Das Problem ist also nicht die Ausstattung, nicht die Kurszusammensetzung. Das Problem bin ich. An den ersten zwei Tagen kämpfe ich nur mit dem Taubheitsgefühl, das sich seit der Massage in Arm und Bein bemerkbar gemacht hat. Dann kommen die Kopfschmerzen wieder. Eine Teilnehmerin – DuLiang – bringt mich am Abend zu einer chinesischen Kopfmassage. Als sie anfangs fragt: „Ich gehe heute Abend zum Haarewaschen – willst du mit?“ kapier ich nicht wirklich, was sie meint. Ich sage trotzdem zu. Diese Kopfschmerzen müssen weg. Nach Kursende treffen wir uns daher im Innenhof des Museums. DuLiang überlegt, dass es sinnvoll sein könnte, eine Reservierung zu machen, nachdem wir mittlerweile zu viert sind. Wir bekommen keinen Termin. Nicht für 4 Personen noch heute Abend. Die Gruppe teilt sich auf. DuLiang und ich rufen ein Taxi. Am Ziel angekommen, kriege ich fast eine Krise: Wir sind unmittelbar in der Nachbarschaft von Sammis Haus angekommen und gehen in Richtung, wo sich der Thai-Salon befindet. Das gibt’s doch wohl nicht! Shaoxing hat mehrere Millionen Einwohner. Da wird es ja wohl mehr als einen Massagesalon geben! Und ich lande 2 Mal unabhängig voneinander im selben?? Da geh ich nicht nochmal rein! Die Frau war brutal. Der chinesische Salon befindet sich dann doch genau neben dem Thai-Salon. Glück gehabt! Er sieht ganz vertrauenserweckend aus. Also los.
Es stellt sich heraus, dass „Haarewaschen“ der Begriff für eine Massage ist, die Teil der traditionellen chinesischen Medizin ist und sich auf Kopf, Nacken und Schultern beschränkt. Man liegt auf einer Liege, deren Kopfstütze über einem eckigen Plastikbehälter „schwebt“. Der gesamte Kopf mit Ausnahme von Mund, Nase und Augen wird massiert, wobei nacheinander 3 verschiedene Öle zur Anwendung kommen. Danach werden die Haare gewaschen und wie im Friseursalon getrocknet und frisiert. Es hilft etwas, die Kopfschmerzen werden leichter und verschwinden nach 2 Tagen sogar ganz.
Dafür bekomme ich jetzt eine Erkältung. Und damit meine ich nicht nur Schnupfen. Am 3. Tag meines Kurses verliere ich meine Stimme. Ich kann nur noch flüstern. Am 4. Tag geht nicht mal mehr das. Ich tippe meine Ausführungen in ein Übersetzungsprogramm oder beschreibe mit Händen und Füßen. Jede Teilnehmerin näht 6 Blöcke. Anschließend gehen sie fast alle davon aus, dass sie die Blöcke einfach aneinandernähen. Das ginge zwar, aber darauf habe ich keine Lust. Also erstelle ich eine kurze Powerpoint-Präsentation mit alternativen Layouts und mache sehr deutlich, dass ab hier eine kreative Eigenleistung gefordert ist. Dafür geht der gesamte 4. Tag drauf, aber es lohnt sich. Die Arbeiten werden größer und individueller, zwei Damen nähen völlig freie Formen, die eher an Segeldrachen als an Quilts erinnern. Genau da wollen wir hin!
Ich werde an dieser Stelle keine Bilder der fertigen Arbeiten zeigen. Der Workshop in Shaoxing ist für mich immer Gelegenheit, ein Konzept, das ich für ein Gilde-Projekt erarbeitet habe, in der Realität zu testen. Genauso war es letztes Jahr, als ich in China den Flexagon erprobt habe. Die Auflösung gibt es also erst im Januar 2026. Das ist eine lange Wartezeit. Auch für mich. Aber es lohnt sich. Versprochen.
Dieser Kurs konnte nur so erfolgreich über die Bühne gehen, weil meine Übersetzerin (eine Bernina Vertreterin) echt gut nähen kann und sie Unterstützung hatte. Das war einerseits die Professorin DuLiang und dann eine angehende Studentin für Modedesign. Sie stammt von chinesischen Eltern ab, ist aber in Kanada aufgewachsen. Ihr Englisch ist perfekt, sie spricht chinesisch mit einem leichten Akzent ( ich wurde gefragt, ob ich das auch bemerkt hätte… äh…nein..), aber sie kann nicht chinesisch schreiben. Sie hat sich in Hangzhou an der Uni einschrieben, um der politischen Situation in Nordamerika zu entkommen und hat jetzt bis September Zeit, um hier lesen und schreiben zu lernen. Mir war sie eine große Hilfe.
Nach fünf Tagen ist der Kurs vorbei. Ich habe jetzt 2 Tage Zeit, um mich etwas zu regenerieren und dann geht es nach Changchun.